18.11.2025 – „Grüne“ Produkte tun sich in der Beratung schwer, war beim Versicherungswissenschaftlichen Symposion in Graz zu vernehmen. Das liege nicht zuletzt an einer verunglückten Regulierung. Tenor der Veranstaltung war nichtsdestoweniger: Versicherungen kommt in der Transformation eine wesentliche Aufgabe zu, sowohl als Risikoträger als auch als Anleger.

In Sachen Nachhaltigkeit ist die Versicherungswirtschaft „ein wichtiger Akteur“, sagte Natalie Glas, Leiterin des Teams Green Finance im Umweltbundesamt, letzten Donnerstag beim diesjährigen Versicherungswissenschaftlichen Symposion der Gesellschaft für Versicherungsfachwissen (GVFW) in Graz.
Risiken im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsfaktoren nähmen zu, bestehende Risiken verstärkten sich, neue kämen hinzu, begründete sie ihren Standpunkt. Das sei eine Chance für das Kerngeschäft der Versicherung, und mit einem Anlagevolumen von über 100 Milliarden Euro habe die Branche hier einen „Hebel“.
Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung VVaG, nutzte sein Statement in der Podiumsdiskussion dazu, sich entschieden dagegen zu wenden, Warnungen vor dem Klimawandel als „Hysterie“ abzutun.
Auch relativierende Äußerungen wie etwa jene, dass sich das Klima auch früher schon geändert habe, lässt er nicht gelten: In der Dimension, wie es sich seit der industriellen Revolution ändert, sei dies zuvor nicht geschehen.
„Als Naturkatastrophenversicherer sind wir unmittelbar damit konfrontiert“, betonte Weinberger und fügte hinzu: „Wir werden an die Grenzen der Versicherbarkeit kommen.“ Teils sei das schon zu beobachten.
Seitens der Uniqa Insurance Group AG machte Martin Zenker, Head of Group ESG Office, auf die 2022 gegründete Green Finance Alliance (GFA) aufmerksam (VersicherungsJournal 10.5.2022). Aus dem Versicherungssektor gehören ihr die Uniqa und die Allianz-Gruppe Österreich an.
Die GFA bekennt sich zur Ausrichtung am 1,5-Grad-Ziel und damit zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Insbesondere geht es um Vorgaben für den Rückbau klimaschädlicher Engagements und den Ausbau „grüner Geschäftsaktivitäten“.
Wie sieht es eigentlich auf Kundenseite aus, wie steht es um die Nachfrage nach ESG-Produkten?
Doris Wendler, Vorstandsdirektorin der Wiener Städtische Versicherung AG, berichtete, die Städtische führe zwar Produkte, bei denen die Kunden das Investment selbst wählen können, allerdings mache die grüne Veranlagung auf diesem Weg nur einen geringen Anteil aus.
Die übrigen Kundengelder würden immer stärker in Richtung grüner Instrumente investiert. Ein Ziel der Transformation sei auch, die Immobilien-Investments nachhaltiger zu gestalten, so Wendler.
Seit es bezüglich nachhaltiger Veranlagung verstärkte Beratungspflichten gebe, sei die Anzahl der Kunden in diesem Segment zurückgegangen, sagte Paul Swoboda, Vorstandsdirektor der Grazer Wechselseitigen Versicherung AG. Früher sei es leichter gewesen, Kunden von solchen Anlagen zu überzeugen.
Wenn ein nachhaltiges Produkt kompliziert ist, ruft das nicht das richtige Mindset im Kunden hervor.
Paul Swoboda, Grawe, über Beratungsvorschriften
Allerdings hätte eine größere kundenseitige „nachhaltige“ Nachfrage in der fondsgebundenen Lebensversicherung ohnehin nicht so einen großen „Impact“ wie die abseits dessen erfolgende Veranlagung, antwortete Swoboda auf eine entsprechende Frage von Moderator Tarek Leitner.
Sehr wohl einen Impact hat laut Swoboda aber die Regulierung: Von der werde man „erschlagen“, womit er nicht zuletzt die – im Fluss befindliche – Nachhaltigkeitsberichterstattung ansprach.
Auch Glas übte Kritik: Sie hält den rechtlichen Rahmen für die Kundenberatung zur Nachhaltigkeit für „verunglückt“. Es liege Evidenz vor, dass sich die Regulierung negativ auf die Wahl nachhaltiger Produkte auswirkt. Die EU-Institutionen seien aber bereit, „das zu reparieren“.
Wäre es denn dann nicht sinnvoller, die grüne Veranlagung nicht „via Kunden“ zu steuern, sondern den Versicherern vorzugeben, wie investiert werden soll?
Zu dieser Frage meinte Glas: Schon die jetzige Regulierung, die lediglich Offenlegungspflichten für nachhaltige Investments vorsehe, stoße auf Widerstand.
Sie sieht den Ball deshalb, jedenfalls „im Moment“, durchaus beim Kunden – auch wenn sie eine grüne Kanalisierung ohne Notwendigkeit eines Kundenzutuns bevorzuge.
Solange es jedoch keine Regulierung gebe, die Unternehmen verpflichte, in bestimmte Bereiche zu investieren, könnte ein kundenseitige grüne Veranlagung viel bewegen, glaubt Glas.
Peter Linzner von der EY Denkstatt, der auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisierten Einheit der Unternehmensberatung EY, findet die Regulierung der Nachhaltigkeitsberatung ebenfalls missglückt.
Die Regulierung mache nachhaltige Investments für die Kunden unverständlich und intransparent. Sie würden im Zuge der Beratung mit Fragen konfrontiert, „die man nicht versteht“.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: Das trifft Linzners Ansicht nach deshalb auch auf die geltende Nachhaltigkeitsregulierung zu.
So müsse man in der Praxis vieles selbst dann „auf Sub-Sub-Sub- Ebene runterdeklinieren“, wenn man bei so manchem „schon auf der zweiten Ebene verstanden“ habe, dass es nicht gebraucht wird.
Weinberger sieht ebenfalls Verbesserungspotenzial: Die ESG-Regulierung erachtet er im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als „überschießend“. Aber: „Wir brauchen ESG.“ Eine starke rechtliche Basis sei nötig, um eine Änderung des Verhaltens zu bewirken.
Wir brauchen den Planeten – der Planet braucht uns nicht.
Kurt Weinberger, Hagelversicherung, ruft zum Handeln auf.
Weinberger plädiert in dem Zusammenhang für ein „neues Wirtschaftsdenken“. Eine Ausrichtung allein am BIP greife zu kurz. „Wir müssen auch das Humankapital berücksichtigen.“
Den bekannten Slogan, dass es allen gut gehe, wenn’s der Wirtschaft gut geht, will er denn so auch nicht stehen lassen. „Geht’s den Menschen gut, geht’s uns allen gut“, müsse es vielmehr heißen.
Genauso heiße „neu zu denken“ auch, in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung „das Naturkapital neu zu bewerten“ und beispielsweise zerstörte Flächen zu berücksichtigen.
„Reine Gewinnmaximierung und unbegrenztes Wachstum bei einem begrenzten Planeten“ – das sieht Weinberger nicht als gangbaren Weg.
Nachhaltigkeit sei Menschenschutz, sagte Weinberger. „Wir brauchen den Planeten – der Planet braucht uns nicht“, mahnte er zum Handeln. „Wir haben die Verantwortung und die Stellschrauben.“
Städtische-Vorstandsdirektorin Wendler nannte es „unseren Job“ als Versicherungswirtschaft, zu einer leistbaren Prämie Versicherungsschutz zu verkaufen. Der Klimawandel zwinge auch dazu, Naturkatastrophendeckungen anbieten zu können.
Ebenso sei es „unser Job“, auch in der Transformationsphase Versicherungsschutz zur Verfügung zu stellen. Das gelte sowohl für die Versicherung beispielsweise nachhaltiger Energieanlagen als auch für die Begleitung von Unternehmen, die auf dem Weg der Transformation noch nicht am Ziel sind.
Es gebe für die Versicherungswirtschaft also eine ganze Reihe von Feldern, die bearbeitet werden müssen.
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