Misstrauen — die erste Bürgerpflicht?

28.8.2013 – Mögliche Interessenskonflikte? Es mag schon sein, dass die Höhe von Courtagen einen Interessenskonflikt erzeugen kann. Es ist auch möglich, dass der Regalbetreuer in einem Bau- oder Supermarkt angehalten wird, die Produkte mit höherem Deckungsbeitrag zu forcieren — unzählige weitere Beispiele ließen sich finden. Es wäre auch denkbar, dass Beamte bei der Auslegung von Gesetzen immer die für den Bürger schlechtestmögliche Variante wählen oder Richter das strengste Urteil fällen.

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Aber: Ist das alles sehr wahrscheinlich oder die Regel? Ist unser Leben darauf aufgebaut, von allen Menschen „proaktiv” das Schlechteste anzunehmen und danach zu handeln? Müsste man demgemäß nicht Neugeborene gleich einsperren — denn sie könnten ja einmal kriminell werden? Was ist das für ein Denkansatz, den die EU da ins Treffen führt, wenn es um die Vergütung bei der Versicherungsvermittlung geht?

Ich kenne keinen Makler, der seine 50 Courtagetabellen im Kopf hat, und danach seine Risikoanalyse und sein Deckungskonzept ausrichtet. Dies ist weder zeitlich noch organisatorisch möglich und wenn es doch passiert, dann gibt es eine gesetzliche Handhabe der Verfolgung.

Der ehemalige deutsche Bundespräsident wird gerade angeklagt, weil er sich (angeblich?) sein Hotelzimmer upgraden hat lassen — um dann für den "Upgrader" zu intervenieren. Okay, wir werden erfahren, wie das ausgeht. Der Umkehrschluss um derartiges „sicher” zu vermeiden, hieße wohl, dass jeder Politiker in der niedrigstmöglichen Hotelkategorie wohnen muss, damit es zu keinem verbotenen Upgrading kommen kann.

Analog auf unsere Branche umgelegt heißt das, dass der Makler praktisch immer in Gefahr eines Interessenskonfliktes ist, solange er überhaupt Courtage bekommt. Wirklich unbefangen ist man also nur dann, wenn man gratis arbeitet, das scheint die Conclusio zu sein. Ein sehr lebensfremder Zugang, und außerordentlich destruktiv.

Der alte Bismarck scheint Nachfolger in Brüssel gefunden zu haben, denn dessen Stehsatz lautete: „Misstrauen ist die erste Bürgerpflicht!” Aktuell ist diese Geisteshaltung aber nicht. Gott Sei Dank.

In meinen 36 Berufsjahren haben sich keine fünf Kunden dafür interessiert, ob und wie ich honoriert werde. (Leider — angesichts der vielen unbezahlten Dienstleistungen, die wir erbringen.) Der Kunde will eine ordentliche Beratung - und der Berater muss für Fehlberatung den Kopf hinhalten. That´s it.

Rudolf Mittendorfer

r.mittendorfer@unabhaengigeswirtschaftsforum.at

zum Artikel: „Verzögerungen bei IMD II: Für Makler mehr Risiko als Chance?”.

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