Extrem überbordende Vorstellungen von Haftung

26.6.2011 – Stella Liebeck als Vorbild oder als Mahnmal? Die damals (1992) 80-jährige Stella Liebeck saß am Beifahrersitz im geparkten Auto ihres Enkels, als sie den gesamten Kaffee aus dem Kunststolffbecher verschüttete. Es war nicht das erste Mal, dass sich McDonald’s-Kunden mit dem Kaffee verbrüht hatten – auf 24.000.000 (vierundzwanzig Millionen) verkaufte Becher kam jeweils eine Beschwerde. Dieser ging zu Gericht und die Klägerin erhielt in erster Instanz – bei 20% Mitverschulden – von der Jury 2,7 Millionen Dollar zugesprochen. Der Richter reduzierte den Betrag auf rund 600.000 USD und in der Berufung gab es dann einen (geheimgehaltenen) Vergleich.

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Wenn wir nun aus der Ferne (be)urteilen, was denn das Reisebüro nicht alles tun hätte können (oder müssen), dann sollten wir auch an uns selbst denken – und an jeden, der irgendetwas rät oder unterlässt, produziert und / oder verkauft.

Ist es möglich, jedem Maklerkunden nachweislich einzuschärfen, wo sein Haftpflichtversicherungs-Schutz bei der Urlaubsreise endet, wo der gemäß Kaskobedingungen, wie es mit der Deckung im Krankheitsfall steht und haben wir wirklich schriftlich in den Unterlagen, dass der Kunde keine BU wollte, selbiger auch auf wegfallende Mitversicherung von Kindern bei eigenem Einkommen (zb. in der HHV) hingewiesen wurde etc. etc.?

Theorie ist das eine, gelebte und lebbare Praxis etwas anderes. Man frage einen Arzt, ob die vorgeschriebene Aufklärung und Dokumentation erfüllbar ist. Egal ob im Krankenhaus oder in der Praxis. Übrigens – worauf werden Sie denn alles hingewiesen, wenn Sie Ihr Auto zum Service bringen? Oder liegt der Speisekarte mit der Gänsepastete im 5-Hauben-Lokal eine Beschreibung mit Warnhinweisen betreffend schlechter Blutwerte bei?

Wir haben es zum einen mit extrem überbordenden Vorstellungen, zum anderen mit nicht nachvollziehbaren Ungleichheiten in der Behandlung von „Haftungen“ zu tun. Wenn wir mit dem Finger auf die Reisebüros zeigen, zeigen wir auch auf uns selbst. Und wir reduzieren die (Mit-)Verantwortung der Menschen.

Wollen wir neben jedem Menschen einen Tugend-und Freizeitwächter stehen haben, der ständig ins Ohr flüstert, was bei der einen oder anderen Tätigkeit alles passieren könnte? Soll mir der Tankwart beim Zahlen sagen müssen, was mir alles widerfahren könnte, wenn ich mti dem vollgetankten Auto in die Berge fahre?

Hohe Ausbildungsstandards und laufende Fortbildung für unseren Beruf – jawohl! Aber Generalverdacht über alle Berater – nein!

Rudolf Mittendorfer

r.mittendorfer@verag.at

zum Leserbrief: „Internet entbindet Berater nicht von der Informationspflicht”.

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