29.10.2024 – Eine zumindest teilweise Verdrängung des Menschen durch KI, Vertrauen als wichtiger werdender Schlüssel zur Ansprache junger Kunden in einem „automatisierter“ werdenden Verkauf, „einfache Sprache“ als Vertriebsturbo, und wie im Vergleich zum Kleingedruckten die Abschlussstrecke auf der Strecke bleibt – Themen wie diese kamen in Vorträgen bei der „Langen Nacht der Versicherungen“ des FMVÖ zur Sprache.
Wie künstliche Intelligenz aus der Welt der Versicherungen, Berater und Kundenplattformen nicht mehr wegzudenken sein wird, darum ging es vergangenen Donnerstag in der „Langen Nacht der Versicherungen“ des Finanz-Marketing Verbandes (FMVÖ) im Wiener Billrothhaus.
In der Montag-Ausgabe haben wir in einem ersten Teil über einige der dort gehaltenen Kurzvorträge geschrieben (VersicherungsJournal 28.10.2024), heute berichten wir über drei weitere.
Sabine Köszegi, Professorin für Arbeitswissenschaft und Organisation an der Technischen Universität Wien, führte, ausgehend von der Geschichte, in die Zukunft der künstlichen Intelligenz.
Der Mensch rücke zunehmend in den Hintergrund, das menschliche Handeln entfalle. Allerdings werde auch die Output-Qualität überschätzt.
Es bedürfe einer „Digital Literacy“, um die von einem KI-Programm angebotenen Ergebnisse beurteilen zu können. Denn hinter „Deep Learning“ stünden mathematische Gleichungen, Gewichtungen, Programme und Klassifikationen.
Die Maschine kenne keine Ästhetik und könne auch keine Beurteilung vornehmen, wie das der Mensch tue. Hier kommt wieder der (Versicherungs-)Experte ins Spiel und am anderen Ende der Kunde mit seinen ursächlichen Bedürfnissen und Emotionen.
Nach einer Studie von McKinsey könnte bis 2030 ein Drittel der Arbeitszeit durch KI automatisiert werden. Das betreffe vor allem die mittelqualifizierten Arbeitskräfte, so Köszegi. Dagegen profitierten von der KI in der Arbeitswelt vor allem jene mit wenig Erfahrung und wenig Bildung.
Gut ausgebildete Menschen mit Erfahrung könnten von der KI weniger profitieren. Zukünftig können daher auch billige, weniger qualifizierte Arbeitskräfte in den Unternehmen eingestellt werden, so Köszegi.
Soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Werte, individuelle Bedürfnisse und Rechte, kulturelle Identität, Umwelt und Nachhaltigkeit könnten durch den Automatisierungsschub unter die Räder kommen.
Bei diesen Werten setzte Jürgen Vanicek, Geschäftsführer der Demner, Merlicek & Bergmann Werbegesellschaft mbH, an.
Denn bei der Beobachtung von „Zennials“ – einer Mischform aus Generation Z und Millennials – seien es gerade diese Werte, die bei der Produktauswahl voran lägen. Hier gebe es einen Hebel für die Versicherer, hier beginne die Markenpflege.
Zennials zeigten sich skeptisch gegenüber traditionellen Indikationen, suchten aber vertrauenswürdige Beziehungen. „Ohne Vertrauen kann man kein Produkt verkaufen“, so Vanicek. Versicherer sollten vielmehr „Sicherheit und Schutz vor Unsicherheit“ anbieten.
„Werte sind das neue Produktversprechen“ – plakativ führte das Vanicek anhand eines Werbespots der Axa vor, wo diese Wertekommunikation ideal mit dem Versicherungsprodukt unter dem Slogan „Being a woman shouldn‘t be a risk“ verbunden werde. In der von Vanicek präsentierten Polizze der Axa werden auch Schadensfälle, die durch häusliche Gewalt entstehen, mitversichert.
Martin Janzen, Partner des Unternehmensberaters und IT-Dienstleisters Ntsal Global GmbH, ortet ein hohes Wachstumspotenzial bei jungen Kunden.
Diese müssten von den Versicherern viel deutlicher differenziert werden. Bei den „Zennials“ gebe es Mikrogenerationen und Übergangsgruppen, wie auch schon Vanicek verdeutlicht hatte. Auch verschiedene Lebenssituationen und individuelle Bedürfnisse müssten abgefragt werden, so Janzen.
Um das relevante Versicherungsprodukt anbieten zu können, seien personalisierte Daten, also dynamische Daten wichtig. Heute würden aber zumeist nur chronologische Lebensdaten, also statische Daten abgefragt.
Zudem müsse auf einfache Sprache übersetzt werden. Dadurch könnten Absatzsteigerungen bis zu 50 Prozent erzielt werden, so Janzen. „Einfache Sprache, wenige Schritte, wenige Fragen“ sollten verwendet werden, um den Kunden individuell durch die digitalisierte Welt der Versicherungen zu geleiten.
Die Kunden seien mit den Texten der Polizzen schlicht überfordert. Schwer lesbare Online-Plattformen vieler Versicherungen spiegelten diese Problematik wider.
Als positives Beispiel nannte Janzen einen Kreditantrag der UBS, der innerhalb von drei Minuten online abgeschlossen werden könne. „Warum sollte das nicht auch bei Versicherungen funktionieren?“, legt Janzen die Latte höher.
Janzen spitzte damit auf die Problematik zu, dass die meisten Versicherungssites reine Informationsstapel seien und kein Verkaufsseiten. Die Kunden würden durch juristisch ausgefeilte Texte verunsichert – und klickten dann weg.
Es gelte aber, den Kunden nach seinen Bedürfnissen zu fragen, um mit ihm einen Abschluss zu erzielen. Zudem komme es auf den richtigen Zeitpunkt an. „Der richtige Zeitpunkt ist der ausschlaggebende Erfolgsfaktor, um Produkte anzubieten“, so Janzen. Man müsse mit der Kampagne viel früher anfangen, als der Kunde etwas braucht.
Nicht etwa der 18. Geburtstag sei zum Beispiel entscheidend, sondern „verhaltensgetriebene Zeitpunkte“: die beginnende Karriere, die erste Wohnung, das erste Kind. Erst daraus ließen sich klare Bedürfnisse und in Folge der geeignete Produktmix ermitteln.
Damit könnten bedarfsgerechte Bündel angeboten werden. Eine kleine Anzahl von Produkten könne für unterschiedliche Zielgruppen spezifiziert werden. Cross-Selling funktioniere nur in den ersten Minuten. Denn der Kunde komme nur einmal auf die Seite – und dann nie wieder.
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