Versicherungsvertrag trotz intransparenter Klausel aufrecht?

19.7.2024 – Ein Versicherungsnehmer forderte die Rückzahlung aller für eine fondsgebundene Lebensversicherung bezahlter Prämien wegen Gesamtnichtigkeit des Vertrags. Der Oberste Gerichtshof entschied: Die Rentenwahlklausel ist zwar unwirksam, der Vertrag könne aber auch nach ihrem Wegfall grundsätzlich unverändert bestehen bleiben. Die Revision des Versicherungsnehmers wurde zurückgewiesen.

WERBUNG
Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Im Jahr 2007 hat ein Versicherungsnehmer eine fondsgebundene Lebensversicherung mit einer Laufzeit von 25 Jahren abgeschlossen, die als Tilgungsträger für einen Kredit dienen sollte.

Laut Versicherungsvertrag handelte es sich um eine Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht, vereinbart waren auch eine Kapitalgarantie und eine Höchststandsgarantie.

Weil sich das Produkt aus Sicht des Versicherungsnehmers ungünstig entwickelte, konvertierte er im Jahr 2015 den Vertrag.

Das neue Produkt enthielt keine Kapital- oder Höchststandsgarantie mehr, was ihm bewusst war. Außerdem war die Prämie höher und die Streuung der Veranlagung eine andere.

Dass das neue Produkt weiterhin über ein Rentenwahlrecht verfügte, das er ab 2032 ausüben könnte, war ihm ursprünglich nicht bewusst, aber auch nicht wichtig.

Bedingungslage

Die Klausel über das Rentenwahlrecht lautet auszugsweise:

„Wenn Sie Ihre fondsgebundene Lebensversicherung als Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht abgeschlossen haben, haben Sie nach Ablauf der Ansparphase das Recht, anstelle der Auszahlung einer einmaligen Versicherungsleistung die Zahlung einer laufenden Rente zu verlangen.

[...]

In beiden Fällen richtet sich die Höhe der Rente neben dem zur Verfügung stehenden Kapital nach dem Alter der zu versichernden Person bei Rentenauszahlungsbeginn und den zu diesem Zeitpunkt gültigen Tarifen für die Rentenauszahlung. Es finden die dann gültigen Versicherungsbedingungen für die Rentenauszahlung Anwendung.“

Rückzahlung der Prämien gefordert

In einer Klage fordert der Versicherungsnehmer nun wegen Gesamtnichtigkeit des Vertrags die Rückzahlung aller Prämien samt Zinsen seit Vertragsabschluss in Höhe von mehr als 47.000 Euro.

Der Versicherer bestreitet eine Gesamtnichtigkeit des Vertrags. Die Klauseln zur Kapital- und zur Höchststandsgarantie seien seit der Konvertierung nicht mehr Vertragsbestandteil und das Rentenwahlrecht könne der Versicherungsnehmer auch weiterhin ausüben.

Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab. Aus den Klauseln zur Kapital- und zur Höchststandsgarantie könne dem Versicherungsnehmer kein Nachteil mehr erwachsen, da sie nicht Bestandteil des bestehenden Vertrages sind.

Ein möglicher Wegfall der Klausel zum Rentenwahlrecht führe nicht zur Undurchführbarkeit des Vertrags, da es sich dabei nicht um eine Hauptleistungspflicht handelt. Außerdem sei der hypothetische Parteiwille zu berücksichtigen, hier sei dem Kläger das Rentenwahlrecht nicht mehr wichtig gewesen.

Rentenwahlklausel ist unwirksam

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts legte der Versicherungsnehmer Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser betont in seiner rechtlichen Beurteilung, dass er in Verbandsprozessen bereits Rentenwahlklauseln wie die hier inkriminierte als intransparent beurteilt habe.

Nur der Kernbereich der Leistungsbeschreibung unterliege als Hauptleistungspflicht nicht der inhaltlichen Kontrolle nach § 879 Absatz 3 ABGB. Dies betreffe die Festlegung der Versicherungsart und die Höhe der Prämien, nicht aber eine Klausel, die ein Rentenwahlrecht regelt.

Die hier zu beurteilende Klausel sei gröblich benachteiligend und daher unwirksam, da sie keine ausreichenden Vorgaben für die Festlegung der Rechnungsgrundlagen enthält. Das verpönte Element der Klausel sei nicht das Wahlrecht an sich, sondern die Unbestimmtheit der Gegenleistung nach Ausübung des Wahlrechts.

Wann ein Vertrag bestehen bleiben kann

Ob die Streichung einer missbräuchlichen Klausel zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages führt, sei in Artikel 6 Absatz 1 der Klausel-Richtlinie geregelt. Demnach bleibt ein Vertrag für beide Parteien bindend, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

Die Kriterien dafür seien von den EU-Mitgliedsstaaten festzulegen. Jedenfalls müsse die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel es aber ermöglichen, die Sach- und Rechtslage wiederherzustellen, in der sich der Verbraucher ohne diese Klausel befunden hätte.

Es gehe nicht darum, die Nichtigkeit sämtlicher Verträge herbeizuführen, die missbräuchliche Klauseln enthalten, sondern vielmehr darum, eine materielle Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien herzustellen.

Abgesehen von der Änderung, die sich aus dem Wegfall der missbräuchlichen Klauseln ergibt, müsse der Vertrag grundsätzlich unverändert bestehen bleiben, so der OGH. Voraussetzung sei aber, dass das nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts möglich ist.

Rentenwahlrecht bleibt erhalten

Im vorliegenden Fall liege auch nach der Konvertierung eine „Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht“ vor. Für die konkrete Ausgestaltung der Rente sei eine entsprechende beiderseitige Einigung auf die später zum Tragen kommenden Konditionen nötig.

Der Versicherer dürfe also dem Versicherungsnehmer ein konkretisiertes Angebot zur Ausübung des Rentenwahlrechts machen; dafür bestehe allerdings kein freies Ermessen, er sei dabei an die regulatorischen Vorgaben des Aufsichtsrechts gebunden.

Entscheidend für die Frage der Gesamtnichtigkeit des Vertrags sei, dass der Versicherungsnehmer weiter über ein Rentenwahlrecht verfügt und nicht gezwungen wird, die Kapitalleistung in Anspruch zu nehmen.

Das bedeute, dass der Vertrag aus Sicht des Versicherungsnehmers unverändert fortbestehen kann. Der Wegfall der Klausel, die keine ausreichenden Vorgaben zur Rentenberechnung enthalten hat, bewirke keine Veränderung des Vertrags zu Lasten des Versicherungsnehmers.

Revision zurückgewiesen

Schließlich beschäftigte sich der OGH in seiner Entscheidung auch mit der Kapital- und Höchststandsgarantie im vorliegenden Fall.

Die entsprechenden Klauseln würden für den Kläger keine Wirkung mehr entfalten, er werde durch sie weder berechtigt noch verpflichtet. Damit sei die Sach- und Rechtslage, in der er sich ohne die Klauseln befände, bereits wiederhergestellt.

Der Vertrag in seiner nunmehrigen Ausgestaltung könne damit grundsätzlich unverändert fortbestehen. Der Revision des Versicherungsnehmers wurde daher vom Höchstgericht nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob51/24m vom 19. Juni 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Darlehen · Fondspolicen · Kapitalgarantie · Kapitallebensversicherung · Lebensversicherung · Rente
 
Ihr Wissen und Ihre Meinung sind gefragt

Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.

Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu! Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.at.

Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.at.

Täglich bestens informiert!

Der VersicherungsJournal Newsletter informiert Sie von montags - freitags über alle wichtigen Themen der Branche.

Ihre Vorteile

  • Alle Artikel stammen aus unserer unabhängigen Redaktion
  • Die neuesten Stellenangebote
  • Interessante Leserbriefe

Jetzt kostenlos anmelden!

VersicherungsJournal in Social Media

Besuchen Sie das VersicherungsJournal auch in den sozialen Medien:

  • Facebook – Ausgewähltes für den Vertrieb
  • Twitter – alle Nachrichten von VersicherungsJournal.at
  • Xing News – Ausgewähltes zu Karriere und Unternehmen
Diese Artikel könnten Sie noch interessieren
14.6.2013 – Der Verwaltungsgerichtshof beschäftigte sich mit einem komplexen Pensionsvorsorgemodell auf der Basis einer Fremdfinanzierung. Es ging unter anderem um die Definition einer Gegenleistungsrente und die Absetzbarkeit von entstandenen Aufwendungen. mehr ...
 
21.12.2021 – Im zweiten Teil des Jahresrückblicks haben wir Ereignisse aus den Monaten Mai bis August im Überblick zusammengestellt. mehr ...