28.10.2024 – Bei einer Schnellbremsung kommt zur gewöhnlichen Betriebsgefahr, die mit dem normalen U-Bahnbetrieb verbunden ist, ein zusätzlicher Gefahrenmoment dazu, so der Oberste Gerichtshof. Weil die Bremsung auch kausal für die Verletzung der Klägerin war, besteht ihre Schadenersatzforderung zu Recht.
Weil in einer U-Bahnstation ein Zugnotstopp grundlos betätigt wurde, erfolgte eine plötzliche, automatische „Gefahrenbremsung“ des Zugs zwischen zwei Stationen. Dadurch stürzte ein Fahrgast auf den Unterschenkel einer U-Bahnbenützerin und verletzte sie.
Die U-Bahn war vor der Einleitung des Bremsvorgangs mit 52 km/h gefahren, die Verzögerung bei der Gefahrenbremsung war mehr als doppelt so groß wie bei einer üblichen Betriebsbremsung. Ob sich der andere Fahrgast festgehalten hatte, konnte nicht mehr festgestellt werden.
Die Geschädigte fordert vom Betreiber der U-Bahn in einer Klage mehr als 24.000 Euro Schadenersatz und Feststellung der Haftung. Dieser wendet ein, es habe sich um ein unabwendbares Ereignis gehandelt und die Bremsung begründe keine außergewöhnliche Betriebsgefahr.
Erst- und Berufungsgericht entschieden, dass die Forderung der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das Berufungsgericht erklärte, dass die plötzliche starke Gefahrenbremsung eine außergewöhnliche Betriebsgefahr begründe, auch wenn diese missbräuchlich verursacht wurde.
Die Revision beim Obersten Gerichtshof wurde zugelassen, da keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage existierte, wann bei automatisch eingeleiteten Bremsungen von U-Bahnen von einer außerordentlichen Betriebsgefahr auszugehen sei.
Einleitend erklärt der OGH, dass eine außerordentliche Betriebsgefahr dann vorliege, wenn zur gewöhnlichen Betriebsgefahr Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Ablauf der Dinge nicht schon dadurch gegeben waren, dass das Fahrzeug überhaupt in Betrieb gesetzt wurde.
Aus Gesetzesmaterialien zum § 9 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) gehe hervor, dass die vorerst nur in der Geschwindigkeit eines Eisenbahnzuges liegende allgemeine Betriebsgefahr durch eine Schnellbremsung zu einer außergewöhnlichen gemacht werde.
Auch in mehreren früheren OGH-Entscheidungen sei bei Schäden infolge von Schnellbremsungen einer Straßenbahn das Vorliegen einer außerordentlichen Betriebsgefahr bejaht worden.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die durch ein grundloses Betätigen des Zugnotstopps in einer U-Bahnstation ausgelöste plötzliche „Gefahrenbremsung“ zwischen zwei U-Bahnstationen habe eine außerordentliche Betriebsgefahr begründet, sei nicht korrekturbedürftig, so der OGH.
Die Argumentation des U-Bahnbetreibers, es handle sich bei einer Gefahrenbremsung lediglich um ein Gefahrenmomentum, das regelmäßig vorkomme und notwendig mit dem U-Bahnbetrieb verbunden sei, ignoriere die bisherige Rechtsprechung des OGH.
Die Häufigkeit von Gefahrenbremsungen und deren notwendige Stärke würden keine Auskunft darüber geben, in welchem Ausmaß dadurch die Gefahr erhöht wird, die nach dem normalen Verlauf der Dinge mit dem U-Bahnbetrieb verbunden ist.
Entscheidend sei die Vergrößerung der Gefahrensituation aufgrund besonderer, nicht im Betrieb selbst liegender Umstände; wodurch die Bremsung erfolgte – durch den Fahrer oder automatisch –, sei dagegen nicht relevant.
Ein Vergleich mit dem normalen Betrieb eines Kraftfahrzeugs sei schon deshalb nicht möglich, weil in U-Bahnen auch stehende sowie nicht durch Gurte gesicherte, sitzende Fahrgäste transportiert werden,
Für eine Haftung des U-Bahnbetreibers sei es notwendig, dass die Schäden kausal durch die außergewöhnliche Betriebsgefahr herbeigeführt wurden, betont der OGH. Im vorliegenden Fall sei die Verletzung der Klägerin kausal auf die Gefahrenbremsung zurückzuführen gewesen.
Diese Bremsung sei durch die Betätigung des Zugnotstopps durch einen unbekannten Fahrgast aktiviert worden; dieser andere Fahrgast sei als nicht beim Betrieb tätiger Dritter gemäß § 9 Absatz 2 EKHG anzusehen.
Entgegen der Ansicht des U-Bahnbetreibers werde der unmittelbare Zusammenhang des Unfalls der Klägerin mit der Gefahrenbremsung nicht dadurch aufgehoben, dass nicht sie selbst, sondern ein anderer Fahrgast auf sie stürzte; gerade dadurch habe sich die erhöhte Gefahrensituation verwirklicht.
Die Revison des U-Bahnbetreibers wurde vom OGH mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 2Ob138/24v vom 10. September 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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