Trotz Lehrabschluss und Versicherungszeiten keine Pension?

18.6.2024 – Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Zugang zu einer Pensionsleistung den Eintritt in das Erwerbsleben erfordere. Dafür sei nicht nur die Begründung einer Pflichtversicherung Voraussetzung, es müsse sich auch um eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt handeln. Der Antrag auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsversicherung wurde abgelehnt.

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Bild: Tingey Injury Law Firm
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Seit ihrer Kindheit leidet A. an verschiedenen Krankheiten, unter anderem an epileptischen Anfällen und spastischen Lähmungen insbesondere der rechten Seite. Die Feinmotorik der rechten Hand ist gestört, ihre Konzentrationsfähigkeit teilweise eingeschränkt. Sie ist überwiegend auf einen Rollstuhl angewiesen.

Trotz aller Einschränkungen konnte sie mit Hilfe einer Schulassistenz eine normale Schulausbildung abschließen. Von 1.9.2015 bis 31.8.2019 absolvierte sie bei einem Verein eine berufliche Qualifikation nach dem oberösterreichischen Chancengleichheitsgesetz im Bereich Bürokauffrau.

In diesem Zeitraum war sie als Angestellte nach dem ASVG pflichtversichert und erwarb 48 Monate Versicherungszeiten. Außerhalb dieses Zeitraumes hat sie keine Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben.

Pensionsversicherung lehnt Pensionsantrag ab

Seit 2014 war A. frei von epileptischen Anfällen, seit dem Frühjahr 2023 treten diese allerdings wieder gehäuft auf. Im September 2022 beantragte sie bei der Pensionsversicherungsanstalt eine Berufsunfähigkeitspension.

Sie sei aufgrund ihrer Leidenszustände und Beschwerden nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass es zu jährlichen Krankenständen von mehr als sieben Wochen kommt.

Die Pensionsversicherungsanstalt lehnte den Antrag ab, worauf A. Klage einreichte. Erst- und Berufungsgericht wiesen diese mit der Begründung ab, dass A. noch nie am ersten Arbeitsmarkt erwerbstätig gewesen sei und daher kein Versicherungsfall der geminderten Erwerbstätigkeit vorliegen könne.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts legte A. Revision beim Obersten Gerichtshof als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen ein.

Einschränkungen haben schon bestanden

In seiner rechtlichen Beurteilung betont der OGH einleitend, dass der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit voraussetze, dass sich der körperliche und geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn der Erwerbstätigkeit wesentlich verschlechtert hat.

Es sei daher wesentlich, ob der Versicherte ursprünglich arbeitsfähig war und seine Arbeitsfähigkeit durch eine nachträgliche Verschlechterung herabgesunken ist.

Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis eingebrachter und im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand könne nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit führen.

Was „Eintritt in das Erwerbsleben“ bedeutet

Voraussetzung für den Zugang zu einer Pensionsleistung sei das Vorliegen einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit. Maßgebend für den Zeitpunkt des Eintritts in das Berufsleben sei die erstmalige Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung.

Dabei sei allerdings nicht nur auf die Begründung einer Pflichtversicherung, sondern auch auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abzustellen, so der OGH.

Entscheidend dafür, was als Eintritt in das Berufs- oder Erwerbsleben zu qualifizieren ist, sei die Frage, ob mit der aufgenommenen Tätigkeit die Ausübung einer Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts verbunden war oder nicht.

So seien vom OGH bisher auch Ferialtätigkeiten mit einer Dauer von nur acht Tagen, der Beginn der Zivildienstleistung oder eines regulären Lehrverhältnisses, nicht aber die bloße Teilnahme an Schulungsmaßnahmen als Eintritt in das Erwerbsleben gewertet worden.

Revision zurückgewiesen

Die von A. absolvierte berufliche Qualifikation bewirkte laut Berufungsgericht schon deshalb keinen Eintritt in das Erwerbsleben, weil diese Maßnahme nur Menschen mit Beeinträchtigung offenstehe, die sonst keine Möglichkeit haben, eine Ausbildung am allgemeinen Arbeitsmarkt zu absolvieren.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die berufliche Qualifikation nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erfolgte und damit nicht mit einem Eintritt in das Erwerbsleben gleichgesetzt werden kann, halte sich im Rahmen der Rechtsprechungsgrundsätze, so der OGH.

Dem Argument von A., sie habe eine ordnungsgemäße Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert, die einem normalen Lehrabschluss entspreche, hält der OGH entgegen, dass es nicht auf die Form der Schulausbildung oder darauf ankomme, ob sie Ausbildungsziele erreicht hat, die denen eines Lehrabschlusses entsprechen.

Auch die von A. ins Treffen geführte Begründung einer Pflichtversicherung reiche nicht allein für die Annahme des Eintritts in das Berufsleben aus. Die Revision wurde daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als unzulässig zurückgewiesen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 10ObS37/24z vom 14. Mai 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Ausbildung · Berufsunfähigkeit · Sozialrecht
 
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