Rechtsschutzstreit: OGH klärt Begriff des Schadenereignisses

13.1.2025 – Der Oberste Gerichtshof entschied: Schadenereignis ist nicht der jeweilige Eintritt der Verletzungen, sondern der Verkehrsunfall. Damit liege auch nur ein Versicherungsfall vor, die Versicherungssumme steht nur einmal zur Verfügung, auch wenn der Unfall zu Personenschäden mehrerer mitversicherter Personen führt.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Im Dezember 2006 wurden ein Fahrzeugbesitzer und seine Frau bei einem Verkehrsunfall verletzt. Beide machten ihre Ansprüche gegen die Haftpflichtversicherung des gegnerischen Fahrzeugs getrennt geltend, wobei ihr Rechtsschutzversicherer für beide Verfahren Deckung gewährte.

Der Fahrzeugbesitzer hatte im Verfahren obsiegt, der Rechtsschutzversicherer musste für ihn keine Kosten tragen. Im Verfahren seiner Frau leistete der Versicherer insgesamt 52.000 Euro, womit die Versicherungssumme ausgeschöpft wurde.

2017 wollte der Fahrzeugbesitzer weiteres Schmerzensgeld infolge des Unfalls geltend machen; der Rechtsschutzversicherer teilte ihm damals mit, dass keine Versicherungssumme mehr zur Verfügung stehe.

Nun will er in einer weiteren Klage die Abfertigungs- und Pensionsdifferenz, die aus der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit resultiert, sowie die Kosten eines Privatgutachtens geltend machen. Der Rechtsschutzversicherer teilte erneut mit, dass keine Versicherungssumme mehr zur Verfügung stehe.

Bedingungslage

Der Fahrzeugbesitzer verfügte über eine Rechtsschutzversicherung, die auch einen Fahrzeug-Rechtsschutz umfasste. Vereinbart waren die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2005). Seine Ehegattin war mitversichert.

Als Versicherungsfall galt demnach das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Zeitpunkt des Versicherungsfalls war der Eintritt dieses Schadenereignisses.

Die Leistungspflicht des Versicherers für den Versicherungsnehmer und die mitversicherte Person war mit der im Zeitpunkt des Versicherungsfalles laut Vertrag gültigen Versicherungssumme begrenzt.

Bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlich zusammenhängenden, einheitlichen Vorgang darstellen, sollte die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung stehen.

Vorinstanzen weisen Klage ab

Nach der Deckungsablehnung durch den Rechtsschutzversicherer reichte der Versicherungsnehmer Klage ein; er argumentiert, es habe sich um zwei Versicherungsfälle – seinen und den seiner Frau – gehandelt, weshalb ihm noch die volle Versicherungssumme zur Verfügung stehe.

Der Versicherer entgegnete, dass der Kläger und seine Frau durch denselben Verkehrsunfall verletzt wurden und dieser das Schadenereignis darstelle. Außerdem würde die Versicherungssumme bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlich zusammenhängenden Vorgang darstellen, nur einmal zur Verfügung stehen.

Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab; der Unfall vom Dezember 2006 stelle den Versicherungsfall dar, Höchstgrenze der Leistungen des Versicherers für den Versicherungsnehmer und die mitversicherte Person sei gemäß Bedingungen die Versicherungssumme.

Dies müsse ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer so verstehen, dass die Leistungspflicht des Versicherers pro Versicherungsfall gegenüber Versicherungsnehmer und mitversicherter Peron insgesamt mit diesem Betrag begrenzt ist.

OGH zur Definition des Schadenereignisses

Daraufhin wandte sich der Versicherungsnehmer in einer ordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof. Dieser stellt einleitend klar, dass die Beurteilung, ob es sich im vorliegenden Fall um einen oder mehrere Versicherungsfälle handelt, Gegenstand des Revisionsverfahrens sei.

In der Rechtsschutzversicherung sei davon auszugehen, dass das Schadenereignis jenes äußere Ereignis sei, das den Personen- oder Sachschaden unmittelbar ausgelöst hat, und zwar unabhängig davon, ob es dabei auf unterschiedliche Personen oder Sachen gewirkt hat.

Darüber hinaus werde keine Gleichzeitigkeit von Schadenereignis und Schadeneintritt gefordert. Bei der Beurteilung des Schadenereignisses sei daher nicht auf den Schadeneintritt bzw. dessen Zeitpunkt abzustellen, so der OGH.

Dies bedeute, dass die Rechtsansicht der Vorinstanzen zutreffe, wonach nicht der Eintritt der Verletzungen, sondern der Verkehrsunfall jenes Schadenereignis darstellt, das den Versicherungsfall bestimmt.

Revision zurückgewiesen

Der Ansicht des Versicherungsnehmers, dass erst der jeweilige Eintritt der Verletzungen das Schadenereignis sei, widerspricht der OGH. Dies würde bedeuten, dass auch ein Personen- und ein Sachschaden aufgrund desselben Verkehrsunfalls zwei Schadenereignisse und damit zwei Versicherungsfälle wären.

Wenn aber das Schadenereignis derselbe Verkehrsunfall ist, dann liege auch nur ein Versicherungsfall vor, selbst wenn dieser Personenschäden sowohl des Versicherungsnehmers als auch einer mitversicherten Person auslöst.

Dies entspreche auch den Bedingungen, wonach die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung steht, wenn aus einem einzigen Versicherungsfall sowohl der Versicherungsnehmer als auch mitversicherte Personen Deckungsansprüche geltend machen, so der OGH.

Da im vorliegenden Fall die Versicherungssumme bereits zur Gänze ausbezahlt wurde, sei die Klage abzuweisen. Die Revision erwies sich damit als nicht berechtigt.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob161/24p vom 20. November 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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Haftpflichtversicherung · Rechtsschutz
 
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