13.3.2023 – Nach einem Arbeitsunfall fordert die AUVA von einem Projektleiter den Ersatz ihrer Leistungen für einen verletzten Techniker. Der OGH stellte fest: Nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift stelle grobe Fahrlässigkeit dar. Die Klage wurde abgewiesen, da die Gefahr für den Projektleiter nicht ohne weiteres erkennbar war.
Die A. AG war in einer Papierfabrik mit der Errichtung einer Versuchsanlage zum Einsatz von SCR-Katalysator-Einheiten (laut Wikipedia eine Technik zur Reduktion von Stickoxiden in Abgasen) beauftragt, die an den Rauchgasabzug des Schwarzlaugenkessels angeschlossen war.
Bei der Kaltinbetriebnahme der Anlage im März 2015 kam es zu einem ungeplanten Druckanstieg; dadurch wurde ein Inspektionsdeckel von der Anlage abgesprengt, wobei der Projektleiter und ein Techniker der A. AG schwer verletzt wurden.
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) erbrachte für den Techniker Leistungen in Höhe von mehr als 170.000 Euro; in einer Klage fordert sie vom Projektleiter die Zahlung dieses Betrages sowie die Feststellung seiner Haftung für sämtliche zukünftigen Pflichtleistungen.
Die Anlage war für den drucklosen Betrieb konzipiert worden. Es konnte nicht festgestellt werden, warum es zu dem Druckanstieg kam, möglich seien sowohl eine Fehlbedienung als auch ein technischer Defekt. Eine druckfeste Bauweise oder ein Überdruckventil hätten den Unfall verhindert.
Es sei nicht ohne weiteres vorhersehbar gewesen, dass in der abgesperrten Anlage ein Druck entsteht, so die Feststellung des Erstgerichts. Bei einer sorgfältig erstellten Risikobewertung nach Ö-Norm wäre die Gefahr allerdings erkennbar gewesen.
Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab, da kein grobes Verschulden des Projektleiters nachgewiesen werden konnte. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der AUVA beim Obersten Gerichtshof (OGH).
Nach § 333 Abs. 4 ASVG sei der Projektleiter dem Dienstgeber gleichgestellt, so der OGH in seiner rechtlichen Beurteilung einleitend. Voraussetzung für seine Haftung sei es daher, dass er den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätte.
Die Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit sei eine Frage des Einzelfalls. Grobe Fahrlässigkeit liege bei einer außergewöhnlichen und auffallenden Vernachlässigung der Pflicht zur Unfallverhütung vor, sodass der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich voraussehbar ist.
Entgegen der Ansicht der AUVA habe das Berufungsgericht dem verletzten Techniker kein Mitverschulden angelastet, sondern nur darauf verwiesen, dass er mit der Funktion der Anlage vertraut war, betont der OGH.
Dass nicht festgestellt werden konnte, ob eine sorgfältige Risikobewertung den Unfall verhindert hätte, entschuldige den Projektleiter nicht. Bei Schutzgesetzverletzungen werde nämlich vermutet, dass sie genau jenen Schaden verursacht haben, den das Schutzgesetz verhindern wollte.
Allerdings sei die Anlage zum Unfallzeitpunkt noch nicht in Betrieb gewesen, weshalb die Arbeitsmittelverordnung nicht anwendbar sei.
Dem Einwand der AUVA, dass kein Konformitätsbewertungsverfahren nach der Maschinen-Sicherheitsverordnung und keine Risikobewertung nach Ö-Norm durchgeführt wurde, hält der OGH entgegen, dass nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift bereits grobe Fahrlässigkeit bedeute.
Dass der Projektleiter dem objektiven Sorgfaltsmaßstab eines Sachverständigen gemäß § 1299 ABGB unterlag, rechtfertige ebenfalls nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, so der OGH. Auch dieser Sorgfaltsmaßstab dürfe nicht überspannt werden.
Da das Risiko eines Druckanstiegs in einem Kessel, der für einen drucklosen Betrieb konzipiert war, für den Projektleiter nicht ohne weiteres erkennbar war, sei die Ansicht der Vorinstanzen, dass dem Projektleiter eine grobe Fahrlässigkeit nicht nachgewiesen werden kann, nicht korrekturbedürftig.
Der Oberste Gerichtshof hat die außerordentliche Revision der AUVA deshalb mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 8ObA93/22t vom 25. Jänner 2023 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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