15.1.2025 – Grundsätzlich habe der vordere, langsamere Fahrer Vorrang, so die Höchstrichter. Und er dürfe darauf vertrauen, dass andere Skifahrer diesen Vorrang beachten. Eine erhöhte Aufmerksamkeit ist nur dann erforderlich, wenn eine Gefahrensituation erkennbar ist.
Im Februar 2019 ereignete sich ein Skiunfall, an dem zwei Skifahrerinnen beteiligt waren. In der Folge klagte eine der Beteiligten die andere auf Schadenersatz in Höhe von mehr als 97.000 Euro sowie Feststellung der Haftung.
Die beklagte Skifahrerin W.B. war in flachen Schwüngen weitgehend parallel zur Pistenhorizontalen unterwegs gewesen. Bei ihrer Fahrweise war es ihr bei normaler Aufmerksamkeit möglich, einen Blickwinkel von jeweils 45 Grad links und rechts wahrzunehmen.
Die Klägerin Dr. B.L. war als hintere Skifahrerin von oben gekommen und holte W.B. ein, wodurch es zur Kollision kam. Hätte W.B. einen Blickwinkel von 52 Grad nach rechts eingehalten, hätte sie den Unfall verhindern können.
Um einen Blickwinkel von 52 Grad zu erreichen, müsse der Kopf nicht gewendet werden, schreibt der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung. Es genüge, „bewusst im Sinne einer erhöhten Aufmerksamkeit weiter rechts zu blicken“.
Beide Vorinstanzen hatten die Klage zurückgewiesen, Dr. B.L. wandte sich daraufhin in einer außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof. Dieser geht einleitend auf die rechtliche Bedeutung von Pistenregeln ein.
Solche Verhaltensvorschriften für Skifahrer seien keine gültigen Rechtsnormen und auch nicht Gewohnheitsrecht. Es komme ihnen allerdings erhebliche Bedeutung als Zusammenfassung der Sorgfaltspflichten aller Beteiligten bei der Ausübung des alpinen Skisports zu.
Zu diesen Regeln zähle es unter anderem, dass Skifahrer andere nicht gefährden oder schädigen dürfen, ihre Geschwindigkeit und Fahrweise ihrem Können und den Verhältnissen anpassen müssen und beim Überholen dem anderen genügend Raum für seine Bewegungen lassen.
Es sei eine klar erkennbare, der Natur des Skilaufes entsprechende und allgemein anerkannte Verhaltensregel, dass der vordere, langsamere Fahrer Vorrang habe. Wer die Piste nicht quert, müsse sie nicht nach oben hin beobachten oder auf von oben kommende Fahrer Rücksicht nehmen.
Im vorliegenden Fall sei W.B. in langgezogenen Schwüngen gefahren. Dies sei entsprechend der Judikatur einem Queren der Piste nicht gleichzuhalten und werde in der Revision von Dr. B.L. auch nicht bestritten, so der OGH.
Sie fordere aber eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung dahingehend, dass die Aufmerksamkeitsanforderungen über den bei Geradeausblick gegebenen Winkel von jeweils 45 Grad nach links und nach rechts erweitert werden.
Dazu betont der OGH, dass auch beim Skifahren der Vertrauensgrundsatz gilt; die Beklagte durfte darauf vertrauen, dass nachfolgende Wintersportler ihren Vorrang beachten und ihr für ihre Bewegungen ausreichend Raum lassen.
Außerdem dürfe die Anforderung, sich so zu verhalten, dass kein anderer gefährdet wird, nicht „überspitzt“ werden. Da für W.B. keine Gefahrensituation erkennbar war, sei eine erhöhte Aufmerksamkeit über das Standardblickfeld von 90 Grad hinaus nicht erforderlich gewesen.
Die außerordentliche Revision wurde daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 8Ob125/24a vom 5. Dezember 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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