20.8.2025 – Der Oberste Gerichtshof entschied: Die Klausel schließe nur vordergründig jeden Versicherten von der Versicherungsleistung aus. In Wahrheit diskriminiere sie transgender und intersexuelle Personen wegen ihres weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts, wofür es keine sachliche Rechtfertigung gebe. Die Klausel ist wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam.
Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) ist in einer Verbandsklage gegen die Verwendung einer Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankenkosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB 2005 in der Fassung 01/2024) vorgegangen.
Diese Bedingungen definieren in ihrem § 1 den Gegenstand und den Geltungsbereich des Versicherungsschutzes. Demnach ist der Versicherungsfall „die medizinisch notwendige Heilbehandlung des Versicherten (Mitversicherten) wegen Krankheit und Unfallsfolgen“.
Gemäß § 1 Absatz 2.4 gelten Geschlechtsumwandlungen nicht als Versicherungsfall. Der VKI fordert vom Versicherer, es zu unterlassen, diese oder sinngleiche Klauseln zu verwenden oder sich darauf zu berufen.
Die Klausel verstoße gegen § 1c VersVG, wonach der Faktor Geschlecht nicht zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer führen darf. Verfassungskonform sei dies dahin zu interpretieren, dass eine Diskriminierung zwischen sämtlichen Geschlechtern verboten sei.
Der Versicherer argumentierte dagegen, der Risikoausschluss betreffe jeden Versicherungsnehmer unabhängig vom Geschlecht; dass nur transidente Personen geschlechtsangleichende Behandlungen benötigen würden, begründe keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Das Erstgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht dagegen gab der Klage statt. Die Klausel schließe Geschlechtsumwandlungen generell als Versicherungsfall aus, auch wenn diese medizinisch notwendig seien.
Nur transidente Personen würden von einer medizinisch notwendigen Geschlechtsumwandlung ausgeschlossen, da sich eine solche bei anderen Personen nicht stelle. Die Klausel verstoße gegen § 1c VersVG, der nicht nur eine Diskriminierung zwischen den Geschlechtern Mann und Frau verbiete.
Der Versicherer wandte sich daraufhin in einer Revision an den Obersten Gerichtshof (OGH). Dieser geht in seinem Urteil einleitend auf die Begriffe „Transgender“ und „Intersexualität“ ein.
Transsexualität bezeichne Personen, „die genetisch und/oder anatomisch bzw hormonell einem Geschlecht (männlich/weiblich) zugewiesen sind, sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben fühlen oder jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ablehnen“.
Intersexualität bezeichne dagegen eine Variante der Geschlechtsentwicklung, die die Einordnung eines Menschen als männlich oder weiblich nicht eindeutig zulässt, ein Mensch also den äußeren Merkmalen nach weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht eindeutig zuordenbar ist.
Transgender zu sein, sei keine Krankheit, betont der OGH. Allerdings könne ein möglicherweise damit verbundener klinisch-relevanter Leidensdruck krankheitswertig sein.
Transsexualität komme dann Krankheitswert zu, wenn die innere Spannung zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht so ausgeprägt ist, dass nur durch die Beseitigung dieser Spannung schwere Symptome psychischer Krankheiten behoben oder gelinder werden.
Unter einer Geschlechtsumwandlung verstehe ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer „die Annäherung oder Angleichung des physischen Erscheinungsbildes einer Person an das Identitätsgeschlecht mithilfe von Operationen, Hormonbehandlungen und sonstigen medizinischen Maßnahmen“.
In den hier zu beurteilenden AVB 2005 werden Geschlechtsumwandlungen vom Versicherungsschutz ausgenommen; dabei handle es sich um einen Risikoausschluss, weil der Versicherer den Versicherungsschutz von vorneherein begrenzt und ein bestimmtes Risiko ausschließt.
Bei der im Verbandsprozess gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung werden dabei Geschlechtsumwandlungen generell, also auch bei Vorliegen von Krankheitswert und medizinischer Behandlungsnotwendigkeit, vom Versicherungsschutz ausgenommen, so der OGH.
Das Verbot der Geschlechterdiskriminierung des § 1c VersVG sei „umfassend und absolut“, betont der OGH. Es dürfen keine geschlechtsspezifischen Obliegenheiten, Risikoausschlüsse oder Wartefristen vereinbart werden, die Bestimmung sei zugunsten des Versicherungsnehmers zwingend.
Allerdings beziehe sich der Wortlaut ausdrücklich nur auf Männer und Frauen, auch wenn vom Faktor „Geschlecht“ gesprochen werde. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei Transsexualität aber dem Begriff „Geschlecht“ zuzuordnen.
Und nach Artikel 5 der Richtlinie 2004/113/EG („Unisex-RL“) dürfe die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens und verwandter Finanzdienstleistungen nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führen.
Laut Verfassungsgerichtshof umfasse das von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auch die geschlechtliche Identität und Selbstbestimmung.
Damit würden auch Menschen, die sich in ihrer geschlechtlichen Identität keiner der beiden Kategorien „Mann“ oder „Frau“ zuordnen, vor einer Diskriminierung wegen ihres weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts geschützt.
Das müsse auch für den § 1c VersVG gelten, so der OGH. Die Bestimmung sei daher analog auf transgender und intersexuelle Personen anzuwenden und schütze diese vor Diskriminierungen wegen ihres weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts.
Nach § 32 Gleichbehandlungsgesetz liege eine unmittelbare Diskriminierung unter anderem dann vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Eine mittelbare Diskriminierung liege dagegen dann vor, wenn eine anscheinend neutrale Regelung Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen kann.
Da die Bestimmung im vorliegenden Fall neutral formuliert ist, liege keine unmittelbare Diskriminierung vor. Allerdings stelle diese neutral formulierte Regelung eine mittelbare Diskriminierung dar, so der OGH.
Vordergründig werde jeder Versicherte von der Versicherungsleistung ausgeschlossen, in Wahrheit bedeute sie aber eine geschlechtliche Diskriminierung intersexueller und transgender Personen, weil eine Geschlechtsumwandlung nur bei dieser Personengruppe infrage komme.
Bei Personen, deren äußere Geschlechtsmerkmale dem weiblichen oder männlichen Geschlecht eindeutig zuordenbar sind und bei denen die Geschlechtsidentität mit dem ihnen bei der Geburt zugeordneten Geschlecht übereinstimmt, könne der Versicherungsfall Geschlechtsumwandlung aber nicht zum Tragen kommen.
Das Argument des Versicherers, die Bestimmung betreffe sowohl Umwandlungen von Mann zu Frau als auch von Frau zu Mann und behandle daher alle Versicherten gleich, sei daher nicht zutreffend.
Die Klausel diskriminiere transgender und intersexuelle Personen wegen ihres weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts, weil sie dieser Personengruppe die Möglichkeit nimmt, eine medizinisch notwendige Geschlechtsumwandlung mit Kostendeckung des Versicherers durchzuführen.
Da auch eine sachliche Rechtfertigung für die Klausel nicht erkennbar sei, ist sie wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Gebot unwirksam. Der Oberste Gerichtshof hat die Revision des Versicherers zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 7Ob58/25t vom 7. August 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
Jürgen Oppelz - Über Kostengrenze nachdenken. mehr ...
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