27.11.2024 – Das Pflanzenschutzmittel Ethylenoxid wird zu 2-Chlorethanol abgebaut. Während ersteres erwiesenermaßen krebserregend ist, fehlen für zweiteres dazu gesicherte Erkenntnisse, ein gesundheitliches Risiko kann aber nicht ausgeschlossen werden. Der OGH entschied: Ein Versicherungsfall liegt nur dann vor, wenn durch die Verunreinigung ein Personenschaden vorliegt. Dazu muss das Erstgericht weitere Feststellungen treffen.
Im September 2020 erfuhr die E. GmbH, dass es bei Bio-Sesam-Lieferungen eines indischen Lieferanten Probleme mit Ethylenoxid gab. Ethylenoxid wird im Pflanzenschutz eingesetzt und gilt als krebserregende Substanz.
Eine daraufhin am 14.10.2020 durchgeführte Beprobung zweier Chargen ergab eine Verunreinigung mit Ethylenoxid und dessen Abbauprodukt 2-Chlorethanol mit einer 36- bis 98-fachen Überschreitung der zulässigen Höchstwerte.
Eine getrennte Feststellung von Ethylenoxid und 2-Chlorethanol war mit den durchgeführten Überprüfungsmethoden nicht möglich; es wurde daher nicht unterschieden, worauf sich die Verunreinigung bezieht. Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, ob 2-Chlorethanol krebserregend ist.
Am 16.10 meldete die E. GmbH der Lebensmittelbehörde die Grenzwertüberschreitung und den Rückruf der Produkte.
Die E. GmbH verfügte über einen Produktschutz-Versicherungsvertrag mit einer Höchstgrenze der Versicherungsleistung von 500.000 Euro für Produktmängel. Vereinbart waren die „AIB Produktschutzbedingungen A-PSB 02/2014“.
Ein Produktmangel lag nach den Bedingungen vor, wenn ein versichertes Produkt aufgrund seiner Beschaffenheit einen Personenschaden herbeiführen könnte und deshalb eine gesetzliche Verpflichtung zum Produktrückruf besteht.
Der Versicherer lehnte eine Deckung ab, worauf die E. GmbH am 16.12.2020 ein Prüfinstitut mit einer neuerlichen Überprüfung mit einer anderen Methode beauftragte. Diese ergab Verunreinigungen mit 2-Chlorethanol und eine Nichtnachweisbarkeit von Ethylenoxid.
Ob zum Zeitpunkt der ersten Überprüfung Ethylenoxid in den Proben vorhanden war, konnte nicht mehr festgestellt werden. Laut einer toxikologischen Bewertung vom 10.12.2020 konnte aber ein gesundheitliches Risiko durch den Verzehr von Waren gleicher Qualität nicht ausgeschlossen werden.
Die E. GmbH fordert in einer Klage die Feststellung, dass der Versicherer für sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Produktrückruf aufzukommen habe. Sie sei verpflichtet gewesen, die Produkte zurückzurufen.
Der Versicherer lehnte die Deckung ab. Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden, die auf krebserregende Substanzen zurückzuführen sind, seien vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossen.
Während das Erstgericht die Klage abwies, gab das Berufungsgericht der Berufung der E. GmbH statt. Der Versicherer legte daraufhin Revision beim Obersten Gerichtshof ein.
In seiner rechtlichen Beurteilung erinnert der OGH einleitend daran, dass den Versicherungsnehmer die Beweislast für das Vorliegen des Versicherungsfalles trifft, der Versicherer habe dagegen das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand zu beweisen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sei die Frage, ob ein Versicherungsfall im Sinne der Bedingungen vorliege. Versicherungsfall ist demnach der erfolgte Rückruf aufgrund eines Produktmangels, wenn die Produkte an Endverbraucher ausgeliefert wurden.
Während die Vorinstanzen das Vorliegen des Versicherungsfalles bejaht hatten, ist der Versicherer der Meinung, dass die E. GmbH das Vorliegen eines Versicherungsfalles nicht bewiesen habe, weil nicht feststehe, dass das Produkt geeignet gewesen wäre, einen Personenschaden herbeizuführen.
Dieser Argumentation des Versicherers schließt sich der OGH an. Die E. GmbH behaupte nämlich eine Verunreinigung mit dem nicht krebserregenden Abbauprodukt 2-Chlorethanol, der Versicherer eine solche mit krebserregendem Ethylenoxid, was zum Risikoausschluss führen würde.
Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, „dass nicht festgestellt werden kann, dass kein krebserregendes Ethylenoxid und nur mehr das Abbauprodukt 2-Chlorethanol vorhanden war“, sei nicht ausreichend klar und missverständlich, so der OGH.
Wenn das Erstgericht damit feststellen wollte, dass zum Zeitpunkt der Beprobung das Produkt mit krebserregendem Ethylenoxid verunreinigt war, würde ein Personenschaden und damit der Versicherungsfall im Sinne der Bedingungen vorliegen.
Habe das Erstgericht aber eine Negativfeststellung getroffen, also nicht feststellen können, ob zum Zeitpunkt der Beprobung krebserregendes Ethylenoxid oder nur 2-Chlorethanol vorhanden war, würde dies nicht ausreichen, um zu beurteilen, ob ein Personenschaden vorliegt.
Weder der Hinweis auf Tierstudien noch die Aussage im Bewertungsbericht vom 10.12.2020, wonach ein gesundheitliches Risiko grundsätzlich nicht auszuschließen ist, würden die dafür nötigen Voraussetzung erfüllen.
Notwendig sei im Sinne der Bedingungen nämlich, dass die Verwendung des Produkts als kausale Folge unmittelbar zu einer Verletzung der körperlichen Integrität, der Gesundheit oder zum Tod führt oder führen könnte.
Das Erstgericht müsse daher vorerst eine Klarstellung seiner Feststellung vornehmen, so der OGH. Allenfalls müsse der Sachverhalt ergänzt werden, damit das Vorliegen eines Personenschadens beurteilt werden kann.
Punkt 6.1 der Versicherungsbedingungen bestimmte, dass Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, wenn sie
„auf
a) gentechnisch veränderte Organismen (GVO),
b) transmissible spongiforme Enzephalopathie (TSE) oder
c) krebserregende Substanzen
d) im Zusammenhang mit Zerfall, Zersetzung oder Transformation der chemischen, physikalischen oder sonstigen Struktur als Folge der natürlichen Eigenschaften oder inhärenter Fehler bzw Nachteile eines versicherten Produktes
zurückzuführen sind. Vorgenannte Ausschlüsse finden für Ziffer 2.3 (Produktmanipulation) keine Anwendung.“
Das Berufungsgericht hatte in dieser Formulierung die Möglichkeit von zwei verschiedenen Auslegungsvarianten gesehen. Die Ausschlussklausel sei unklar, dies gehe zu Lasten des Versicherers, der sich damit nicht auf den Deckungsausschluss berufen dürfe.
Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer werde aufgrund des Aufbaus der Bestimmung davon ausgehen, dass es sich um vier selbständige, gleichberechtigte und alternativ gegenüberstehende Risikoausschlusstatbestände handle.
Der Umstand, dass das Wort „oder“ fälschlicherweise nach lit b und nicht nach lit c steht, hindere diese Lesart in keiner Weise, so der OGH. Daran ändere auch die „sprachlich unschöne Formulierung“ des unter lit d angeführten Tatbestandes nichts.
Klar und eigenständig werde hier der Ersatz von Vermögensschäden ausgeschlossen, „die auf Zerfall, Zersetzung oder Transformation der chemischen, physikalischen oder sonstigen Struktur als Folge der natürlichen Eigenschaften oder inhärenten Fehler bzw Nachteile eines versicherten Produkts zurückzuführen sind“.
Damit sei Punkt 5.1 der Bedingungen so auszulegen, dass Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden, die auf krebserregende Substanzen zurückzuführen sind, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.
Das sei auch für die missverständliche Feststellung des Erstgerichts von Bedeutung. Im Fall, dass dieses eine Verunreinigung mit krebserregendem Ethylenoxid festgestellt hat, würde der Risikoausschluss zur Anwendung kommen.
Handle es sich allerdings um eine Negativfeststellung zu Ethylenoxid und würde darüber hinaus ein Versicherungsfall bezüglich 3-Chlorethanol vorliegen, so hätte der Versicherer die Voraussetzungen für einen Risikoausschluss nicht bewiesen, erklären die Höchstrichter.
Der Revision wurde Folge gegeben, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die OGH-Entscheidung 7Ob148/24a vom 23. Oktober 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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