6.2.2025 – Aufgrund der strengen Wiederherstellungsklausel steht den Versicherungsnehmern die Neuwertspitze und deren Verzinsung erst ab der Auftragserteilung zu, so der OGH. Ein gewisser Verzicht auf Zinsen steht nicht in einem Missverhältnis zur gewährten Verlängerung der Frist für die Wiederherstellung. Und weil der Versicherungsvertrag von der Vorbesitzerin des Hauses erst weniger als drei Jahre vor dem Versicherungsfall abgeschlossen wurde, kam die Wertsicherung der Versicherungssumme noch nicht zur Anwendung.
Beim Brand eines Wohngebäudes am 26. Mai 2019 verlor ein Ehepaar sein
gesamtes Hab und Gut. Sie hatten danach stets die Absicht, das Haus wieder zu errichten, was sie auch ihrem Versicherer mitteilten. Sie waren allerdings finanziell nicht in der Lage, dafür in Vorleistung treten zu können.
Am 19. September desselben Jahres erstellte der vom Versicherer beauftragte Schadensgutachter seinen Schadensbericht. Die Hauseigentümer erhielten dann Acontozahlungen für Abbruch- und Entsorgungskosten, das Gebäude und Mietkosten für eine Wohnung.
Eine Abschlagszahlung des Versicherers lehnten die Versicherungsnehmer ab. Sie beantragten aber zweimal eine Fristverlängerung für die Wiederherstellung der Gebäude und der Inhaltsschäden, zuletzt bis 31. Dezember 2023.
Der Versicherer war dazu unter der Voraussetzung bereit, dass auf eine Zinsforderung komplett und endgültig verzichtet wird; weil sie unter starkem wirtschaftlichem Druck standen und um nicht die Neuwertspitze zu verlieren, erklärten sie sich dazu bereit.
Die Versicherungsnehmer hatten die Bündelversicherung beim Erwerb der Liegenschaft im April 2018 von der Vorbesitzerin übernommen. Versicherungsbeginn des als „Neuvertrag“ bezeichneten Vertrags war der 24. Jänner 2017.
Die Vorbesitzerin hatte zuvor beim selben Versicherer über eine Versicherung verfügt, diese im Jahr 2016 aber gekündigt. Eine von ihr anschließend geplante Reaktivierung des Vertrags war nicht mehr möglich, weshalb sie den Neuvertrag abschloss.
Der (neuen) landwirtschaftlichen Bündelversicherung liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Landwirtschaftsversicherung (ABL 2014) zugrunde.
Demnach werden bei Gebäuden der ortsübliche Neubauwert, bei landwirtschaftlichem Inventar die Wiederbeschaffungskosten zum Neuwert ersetzt. Voraussetzung dafür ist, dass eine Wiederherstellung bzw. Wiederbeschaffung innerhalb von drei Jahren nach dem Versicherungsfall erfolgt.
Unterbleibt dies aus welchem Grund auch immer, besteht bei Gebäuden nur Anspruch auf Entschädigung nach dem Zeitwert, höchstens aber dem Verkehrswert.
Für Neuverträge sehen die Bedingungen eine dreijährige Prämiengarantie vor; gleichzeitig wird erst nach Ablauf von drei Jahren die Höchsthaftungssumme entsprechend dem Verbraucherpreisindex angepasst.
Der Ehemann reichte Klage ein, in der er vom Versicherer knapp 700.000 Euro an Neuwertentschädigung und restlichen Kosten für Inventar und Abbruch samt Zinsen fordert. Erst nach Einbringung der Klage leistete der Versicherer die Zeitwertentschädigung.
Der Versicherer erklärte unter anderem, dass es sich um einen Neuvertrag gehandelt habe, weshalb die dreijährige Frist für eine Wertsicherung noch nicht abgelaufen sei; darüber hinaus habe der Versicherungsnehmer in einer Vereinbarung auf Zinsforderungen verzichtet.
Erst- und Berufungsgericht gaben der Klage teilweise statt. Der Versicherungsnehmer legte gegen diese Entscheidung ordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Der grundsätzliche Anspruch des Hausbesitzers auf die Neuwertentschädigung ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
In der Revision geht der OGH auf die „strenge Wiederherstellungsklausel“ der Bedingungen ein. Danach entstehe im Versicherungsfall zunächst nur ein Anspruch auf den Zeitwert, der Restanspruch auf den Neuwert hänge von der Wiederherstellung oder ihrer fristgerechten Sicherung ab.
Sinn dieser Klausel sei es, einen mittelbaren Zwang auf den Versicherungsnehmer auszuüben, der so erst bei Sicherung des Wiederaufbaus an die Neuwertversicherungssumme gelangt und die Entschädigungssumme nicht für frei bestimmbare Zwecke verwenden kann.
Wann die Verwendung gesichert ist, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, so der OGH. Eine hundertprozentige Sicherheit könne nicht verlangt werden, es dürfe nur kein vernünftiger Zweifel an der Durchführung der Wiederherstellung bestehen.
Dabei genüge der Abschluss eines bindenden Vertrags über die Wiederherstellung; Kostenvoranschläge, Absichtserklärungen, die bloße Bauplanung oder behelfsmäßige Reparaturen seien aber nicht ausreichend.
Der Ansicht des Versicherungsnehmers, der Neuwert wäre bereits mit der Schadensmeldung, spätestens aber nach der am 12. Dezember 2022 erteilten Baubewilligung fällig und daher ab diesem Zeitpunkt zu verzinsen gewesen, widerspricht der OGH.
Es habe sich dabei nur um die Bauplanung gehandelt, die für die Sicherung der Wiederherstellung nicht genüge. Den Akten sei erst mit dem 8. Juli 2023 eine Auftragserteilung zu entnehmen. Ab diesem Zeitpunkt sei die Neuwertspitze fällig und zu verzinsen gewesen.
Nach § 11 Absatz 4 VersVG seien die Verzinsung der Neuwertspitze ab 8.7.2023 und jene der Zeitwertentschädigung ab der Feststellung durch den Gutachter am 19.9.2019 unabdingbar, betont der OGH.
Der Hausbesitzer hat den Verzicht auf die Zinsen als sittenwidrig angefochten. Dabei gehe es aber nur um den Zeitraum von 1.7.2019 bis 18.9.2019, für den nach § 94 Absatz 1 VersVG unter Berücksichtigung einer Abschlagszahlung 6.127 Euro angefallen wären.
Diese Verzinsung solle dem Versicherungsnehmer einen Ausgleich dafür schaffen, dass er aufgrund länger dauernder Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Leistungsumfanges die ihm zustehende Versicherungssumme nicht alsbald nach dem Versicherungsfall erhält.
Nach ständiger Rechtsprechung seien Verträge dann sittenwidrig, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder wenn bei Interessenkollisionen ein grobes Missverhältnis zwischen den verletzten und den geförderten Interessen vorliegt, so der OGH.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Verlängerung der Wiederherstellungsfrist um fast ein Jahr im Verhältnis zum Betrag von 6.127 Euro kein derart grobes Missverhältnis ergibt, sei vertretbar.
Zur Frage, ob von der Vorbesitzerin des Hauses ein neuer Vertrag abgeschlossen oder der alte Vertrag nur modifiziert wurde, sei maßgebend, ob die Identität des Versicherungsverhältnisses gewahrt oder das bestehende Versicherungsverhältnis aufgehoben und ein neuer begründet wurde.
Im vorliegenden Fall habe die Vorbesitzerin den damaligen Vertrag von sich aus gekündigt; dieser war mit 1.1.2017 beendet. Ein auch ausdrücklich als neuer Vertrag bezeichneter Vertrag begann erst am 24.1.2017 zu laufen; dazu kam die dreijährige Prämiengarantie, die es nur bei Neuverträgen gibt.
Damit sei ein neuer Vertrag abgeschlossen worden, für den die Wertsicherung auch der Versicherungssumme erst nach drei Jahren zur Anwendung kommt. Insgesamt wurde die Revision daher vom Obersten Gerichtshof mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 7Ob180/24g vom 18. Dezember 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.
Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu! Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.at.
Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.at.
Der VersicherungsJournal Newsletter informiert Sie von montags - freitags über alle wichtigen Themen der Branche.
Ihre Vorteile