OGH: Grüne Ampel kein „absolutes Gebot“ zu fahren

15.7.2024 – Der Ansicht des Radfahrers, er müsste die Verkehrslage nur unmittelbar nach Aufleuchten des Grünlichts beobachten, widerspricht der OGH. Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordere ständige Vorsicht, wer genügend Zeit und Möglichkeit hat, einen Unfall zu verhindern, dem sei keine Schreckreaktion zuzubilligen.

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Symbolfoto (Bild: Gabi Schönemann bei Pixelio.de)
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(Bild: Gabi Schönemann bei Pixelio.de)

Ein Zivilstreifenfahrzeug, das mit Blaulicht unterwegs war, näherte sich einer Kreuzung an, deren Ampel Rot zeigte. Es blieb vorerst hinter der Haltelinie stehen, fuhr dann aber – immer noch bei Rot – in die Kreuzung ein.

Ein Radfahrer, der aus der Querstraße kam, wollte bei Grünlicht fahren. Er bemerkte das Blaulicht des Einsatzfahrzeugs verspätet und regierte mit einer Vollbremsung; es kam zum Unfall. Von der Republik Österreich und deren Haftpflichtversicherer forderte er zuletzt knapp 69.000 Euro.

Das Berufungsgericht hat in einem Teilzwischenurteil dem Lenker des Zivilstreifenfahrzeugs eine Verletzung des § 26 Absatz 3 StVO angelastet. Er sei in die Kreuzung eingefahren, ohne sicher sein zu können, dass er diese ohne Gefährdung des sich nähernden Radfahrers passieren könne.

Den Radfahrer treffe aber ein Mitverschulden. Er habe entgegen § 38 Absatz 4 StVO die Verkehrslage nicht aufmerksam beobachtet und er habe mit einer überzogenen Vollbremsung reagiert, obwohl auch ein normales Bremsmanöver zur Unfallvermeidung ausgereicht hätte.

Verkehrslage muss immer beachtet werden

Der Radfahrer wandte sich gegen diese Entscheidung in einer außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof. In dieser werde offenbar das Ergebnis intendiert, dass bei bereits länger leuchtendem Grünlicht die Verkehrslage überhaupt nicht beachtet werden muss, so die Höchstrichter.

Dem widerspricht der OGH. Grünes Licht bedeute kein absolutes Gebot, das Zeichen „Freie Fahrt“ zu befolgen. Es befreie Verkehrsteilnehmer nicht von der Verpflichtung, die Verkehrslage zu beobachten und ihre Weiterfahrt danach einzurichten.

Weder dem Wortlaut des § 38 Absatz 4 StVO noch der Rechtsprechung lasse sich entnehmen, dass die Beobachtung der Verkehrslage und die darauf abgestimmte Weiterfahrt auf die Zeit unmittelbar nach Aufleuchten des Grünlichts eingeschränkt wäre.

Außerdem stünde es in Widerspruch zu § 3 Absatz 1 StVO, würde man bei bereits länger aufleuchtendem Grünlicht die Verkehrslage überhaupt nicht beobachten müssen. Dieser bestimme nämlich, dass die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und Rücksichtnahme erfordert.

Vertrauen auf Achtung des Vorrangs

Grundsätzlich dürfe, wer bei Grünlicht in eine Kreuzung einfährt, zwar darauf vertrauen, dass aus der nunmehr gesperrten Querrichtung niemand mehr in die Kreuzung einfahren wird, so der OGH.

Im vorliegenden Fall hätte der Radfahrer denn auch darauf vertrauen dürfen, dass das hinter der Haltelinie bei Rotlicht stehende Einsatzfahrzeug das Rotlicht weiterhin beachten und den Querverkehr abwarten wird.

Als das Einsatzfahrzeug dann allerdings die Haltelinie, für den Radfahrer erkennbar, überfuhr, hätte letzterer nicht mehr auf die Achtung seines Vorrangs vertrauen dürfen und seine Fahrweise darauf abstimmen müssen.

Verspätet auf fremdes Fehlverhalten reagiert

Der Radfahrer habe das Blaulicht des Einsatzfahrzeugs trotz wesentlich früherer Wahrnehmbarkeit zunächst nicht bemerkt und darauf verspätet reagiert.

Bestehe aber genügend Zeit und Möglichkeit, um auf das Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers in einer völlig risikolosen Weise und ohne jede Gefahr der Herbeiführung eines Unfalls zu reagieren, sei keine entschuldbare Schreckreaktion zuzubilligen.

Die außerordentliche Revision des Radfahrers wurde vom OGH daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 2Ob87/24v vom 19. Juni 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

 
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