Natkat: „Tendenz zu öffentlich mitfinanzierten Versicherungen“

17.10.2024 – Das bestehende Deckungskonzept ist unzureichend, und das Katastrophenfonds-Konzept leidet unter diversen Mängeln: Diesen Befund stellt WU-Professor Stefan Perner. International sieht er eine Tendenz in Richtung staatlicher Unterstützung, allerdings nicht als separate Schiene wie in Österreich, sondern in Form einer Mitfinanzierung von Versicherungsprodukten. Ein Baustein in der Lösung könnte auch eine parametrische Versicherung sein.

Univ.-Prof. Stefan Perner referierte am Mittwoch über Natkat-Versicherungslösungen (Bild: VJ/Screenshot)
Univ.-Prof. Stefan Perner referierte am Mittwoch
beim „Versicherungsrechtstag 2024“ in Wien über Lösungen
für die Versicherung gegen Naturgefahren (Bild: VJ/Screenshot).

Rund 150 Jahre sei es her, dass sich Brände in Europa häuften und die Feuerversicherung deshalb „ein bisschen an der Kippe“ gestanden sei.

Reagiert habe man mit Investitionen ins Risikomanagement: mit der Entwicklung von Fluchtwegkonzepten, Sprinkler- und Brandmeldeanlagen. So sei es gelungen, die Feuerversicherung vor einem Aus zu bewahren – anders wäre keine Deckung mehr möglich gewesen.

Mit diesem Rückblick leitete Univ.-Prof. Stefan Perner seine Ausführungen beim „Versicherungsrechtstag 2024“ am Mittwoch ein, zu dem das Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien und die Österreichische Gesellschaft für Versicherungsfachwissen geladen hatten.

Neuauflage eines alten Rezepts?

Angesichts des historischen Beispiels und der heute zu beobachtenden Häufung von Extremwetterereignissen würde sich da doch eigentlich ein Gedanke aufdrängen: es einfach wieder so zu machen wie damals, also bestehende Versicherungsprodukte so für Hochwasserereignisse zu „optimieren“, dass verstärkt auf präventives Risikomanagement gesetzt wird.

Allerdings, so Perner, gibt es einen Unterschied zur Situation im 19. Jahrhundert: Der Klimawandel schaffe eine Risikolage, die sich immer weiter verschärft. Allein durch präventives Risikomanagement, so Perner, „werden wir es wahrscheinlich nicht in den Griff bekommen“.

Bestehendes Deckungskonzept „unzureichend“

Wie also soll die Versicherungswirtschaft extreme Schadenereignisse in den Griff bekommen? Nicht mit dem bestehenden Deckungskonzept, denn das sei aufgrund von Sublimits, niedrigen Summen und Ausschlüssen bzw. erst gar nicht angebotener Deckung unzureichend.

Daneben gibt es zwar noch den Katastrophenfonds als System der staatlichen Ad-hoc-Hilfeleistung – dieser habe aber Nachteile, wie Perner ausführte. Einer davon sei, dass dieses Modell zu „keinerlei Verhaltenssteuerung“ führe; es gebe keinen Anreiz zur Prävention.

Das sei bei Versicherungsprodukten gänzlich anders, weil es Obliegenheiten gibt und weil die Prämienkalkulation oder andere verhaltenssteuernde Mechanismen einen Anreiz setzen, das Risiko möglichst gering zu halten.

Das „Bittsteller“-Problem

Ein weiteres Problem des Katastrophenfonds sei die – umstrittene – rechtliche Stellung des Geschädigten als „Bittsteller“.

Perner: „Dass wir überhaupt über einen Rechtsanspruch aus dem Katastrophenfonds diskutieren, ist unfassbar.“ Es gehe auch nicht an, dass es von einer politischen Entscheidung abhängt, ob und in welchem Ausmaß der Fonds gegebenenfalls aufgestockt wird.

Strukturelle Defizite

Darüber hinaus weise das Katastrophenfonds-Modell „strukturelle Defizite“ auf. Schadenskommissionen seien hier vorgesehen, die Förder-Richtlinien in Bezug auf die Ersatzleistungen teils äußerst „holprig“ formuliert.

Im Versicherungswesen gebe es hingegen „jahrzehntelange Judikatur“, eine Struktur der Schadenabwicklung und -feststellung sei vorhanden, und man wisse, was versicherbar ist und was nicht. Auch im Hinblick auf Daten verfügten Versicherer über entsprechende Erfahrung.

All diese Faktoren führten dazu, dass das Versicherungsmodell „überlegen“ sei, so Perner.

Florida: Rückzug von Versicherern

Wie ist die Lage eigentlich in anderen Ländern? In Florida beispielsweise sei es bereits dazu gekommen, dass sich Rückversicherer und in der Folge Erstversicherer aus dem Markt zurückgezogen haben, wiederum mit der Folge, dass Gebäude nicht mehr versicherbar waren.

Dass man sich dort des Themas bereits annahm und ein staatlicher Fonds für die Rückversicherung eingerichtet worden sei, um sie zur Rückkehr in den Markt zu bewegen, sei durch zwei Faktoren begünstigt worden.

Erstens: Die Intensität und Häufigkeit von Hurrikans nehme zu. Zweitens: Ohne Versicherung sei kein Kredit mehr zu bekommen gewesen – Gift für Liegenschaftstransaktionen.

Öffentlich finanzierte Versicherungsprodukte

In Europa gebe es Länder mit „Protection gap entities“, bei denen ebenfalls der Staat Geld beisteuert. Dabei sei nicht die staatliche Finanzierung an sich das Besondere, sondern, dass damit eine „privatversicherungsrechtliche Struktur“ finanziert wird.

Das heiße: Der Staat macht das Versicherungsprodukt leistbar – anders als im zweistufigen österreichischen Modell, in dem Versicherung und staatliche Hilfe getrennt nebeneinanderstehen.

Die Tendenz weise jedenfalls klar in die Richtung, „öffentlich mitfinanzierter Versicherungsprodukte“.

Reformüberlegungen

Inwieweit wäre also die österreichische Rechtslage überdenken? Man könnte freilich an Pflichthaftpflichtversicherungen denken, wie man sie auch aus anderen Bereichen kennt, etwa der Kfz-Haftpflicht. Sprich: Man „sucht“ einen Haftpflichtigen, der sich versichern muss.

Eine verschuldensunabhängige Haftung sehe beispielsweise § 26 Abs. 2 Wasserrechtsgesetz (WRG) vor. Ein Wassernutzungsberechtigter könnte auf dieser Basis zur Verantwortung gezogen werden, wenn er etwa mittels Staudamms aufgestautes Wasser abfließen lässt und dadurch Schaden entsteht.

Nur: Bei höherer Gewalt greife diese Haftung nicht. „Damit sind wir wieder dort, wo wir schon am Anfang waren“, so Perner: Es sei eben kein Fall von Haftpflicht, weil es niemanden gibt, gegen den man sinnvollerweise einen privatrechtlichen Anspruch einräumen könnte, gegen den derjenige sich dann versichern kann.

Vielmehr handle es sich um einen Eigenschaden, der eine „Kombination zwischen Staat und Privat“ benötige – und zwar in anderer Form als bisher.

Vorbilder in Österreich

Ein Vorbild dafür gebe es in Österreich bereits, nämlich die Absicherung landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch das Hagelversicherungs-Förderungsgesetz: Der Bund schießt 27,5 Prozent zur Prämie zu, vorausgesetzt, das Land tut das Gleiche. Insgesamt sind das also 55 Prozent Förderung.

Es genüge aber nicht, dass der Staat einfach immer mehr Prämie beisteuert, wenn die Schadenereignisse immer gravierender werden – auch auf Seiten der Versicherer müsse es Anstrengungen geben.

In diesem Zusammenhang führte er ein weiteres Modell an, jenes der parametrischen Versicherung, konkret die Dürreindex-Versicherung der Österreichischen Hagelversicherung VVaG.

In der konventionellen Dürreversicherung müssen im Schadenfall Sachverständige – typischerweise viele zugleich und an verschiedenen Orten – bestellt werden. Die Indexversicherung verbillige die Schadenfeststellung: Man bildet Messpunkte in ganz Österreich, und geleistet wird, wenn Messwerte über- oder unterschritten werden.

Offene Fragen

Zu klären wären schließlich noch Fragen zur Art und Weise, wie die Naturkatastrophenversicherung ausgestaltet werden soll.

Perner nannte einige: Wollen wir eine Pflicht von vornherein? Oder gehen wir davon aus, dass sich sowieso alle versichern, wenn es leistbar ist, und genügt es folglich, nur bestimmte Ausschlüsse zu verbieten? Wie wird Leistbarkeit sichergestellt?

Wenn es zu einer gesetzlichen Regelung komme, müssten seiner Meinung nach die verschiedenen Risiken – wie Hochwasser, Sturm, Dürre – gebündelt werden, sodass ein „möglichst großer Pool an Prämienzahlern“ entsteht.

Eines dürfe durch diese Überlegungen aber nicht überdeckt werden, meinte Perner: „Wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, wird uns all das nicht helfen.“

Schlagwörter zu diesem Artikel
Darlehen · Elementarschaden · Rückversicherung · Unwetter
 
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