Nach Ärztepfusch: Forderung an Haftpflichtversicherer verjährt?

27.2.2025 – Der OGH entschied: Bereits zum Zeitpunkt, als die Patientin ihre Forderung an die Konkursmasse angemeldet hat, wäre es ihr ohne nennenswerte Mühe möglich gewesen, durch eine Anfrage bei der Zahnärztekammer den Haftpflichtversicherer des Arztes in Erfahrung zu bringen. Gründe für ein Zuwarten seien nicht ersichtlich, die Forderung ist verjährt.

Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

S.H. war in den Jahren 2014 und 2016 bei einem Zahnarzt in Behandlung, Probleme bei diesen Behandlungen sind ihr nicht aufgefallen.

Am 7. November 2019 erfuhr sie von einem Sachverständigen, der im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Zahnarzt beauftragt worden war, dass diese Behandlungen schwer mangelhaft gewesen sind.

Bereits im März desselben Jahres war über das Vermögen des Zahnarztes ein Konkursverfahren eröffnet worden. Im März 2020 übermittelte S.H. ihrem Anwalt die Informationen des Sachverständigen, der Anwalt meldete daraufhin am 22. Juni 2020 eine Forderung beim zuständigen Landesgericht an.

Der Zahnarzt wurde im Februar 2023 unter anderem auch wegen der falschen Behandlung von S.H. wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt.

Haftpflichtversicherer wendet Verjährung ein

Erst nach Abschluss des Strafverfahrens ersuchte der Anwalt von S.H. die Zahnärztekammer um Bekanntgabe des Haftpflichtversicherers des Zahnarztes; dieser wurde ihm mit Schreiben vom 3. März 2023 genannt.

Am 22. September 2023 forderte der Anwalt dann in einem Schreiben vom Versicherer mehr als 64.000 Euro für Behandlungskosten, Schmerzensgeld, Sanierungskosten sowie die Kosten der Vertretung.

Der Versicherer lehnte eine Leistung ab. Er argumentierte, dass bereits Verjährung eingetreten sei, er bei vorsätzlicher Schädigung nicht hafte und er auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls und bewusstem Zuwiderhandeln gegen Vorschriften leistungsfrei sei,

Vorinstanzen weisen Klage gegen Versicherer ab

Im März 2024 anerkannte der Masseverwalter des Zahnarztes eine Forderung von 37.742,17 Euro, 12.000 Euro wurden mit der Begründung bestritten, dass seit viereinhalb Jahren feststehen sollte, ob tatsächlich Sanierungskosten angefallen sind. Das Konkursverfahren ist noch nicht beendet.

Daraufhin brachte S.H. am 31. Jänner 2024 Klage gegen den Haftpflichtversicherer ein. Sie fordert 12.000 Euro Sanierungskosten für die mangelhafte Zahnbehandlung, 36.500 Euro Schmerzensgeld sowie Feststellung der Haftung des Versicherers für Spät- und Dauerfolgen der Behandlungen.

Der Versicherer beantragte die Abweisung der Klage. S.H. habe bereits 2019 von den Fehlbehandlungen erfahren, erst im Februar oder März 2023 bei der Zahnärztekammer angefragt, wer Versicherer sei, und erst am 28. November 2023 die Klage eingebracht, was keine gehörige Fortsetzung sei.

Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab. Die Verjährung habe mit 7. November 2019 zu laufen begonnen, als S.H. vom Gutachter von den Schäden und dem Schädiger Kenntnis erlangt hat. Die ordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof wurde zugelassen.

Direktklage bei Pflichthaftpflichtversicherung

In seiner rechtlichen Beurteilung geht der OGH einleitend auf den Begriff der Haftpflichtversicherung ein. Diese solle grundsätzlich das Risiko abdecken, dass ein Versicherungsnehmer von einem Dritten zu Recht oder zu Unrecht auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.

Bei der Pflichthaftpflichtversicherung des Zahnarztes, deren Abschluss Berufspflicht freiberuflicher Zahnärzte ist, könne der Geschädigte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch auch direkt gegen den Versicherer geltend machen; Versicherer und Versicherter haften als Gesamtschuldner.

Dabei trete der Versicherer nach einhelliger Judikatur der Schuld des Versicherungsnehmers gegen den Geschädigten nach Maßgabe des Deckungsanspruchs bei. Daher könne der Versicherer Einwände aus dem Deckungsverhältnis auch dem direkt klagsbefugten Geschädigten gegenüber erheben.

Wann der Geschädigte Kenntnis vom Schaden erhält

In weiterer Folge geht der OGH auf die allgemeinen Grundsätze der Verjährung ein. Schadenersatzanspruch verjähre nach den Regeln des § 1489 ABGB binnen drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger.

Maßgeblich sei, ob der Geschädigte alle für das Entstehen seines Anspruchs maßgebenden Tatumstände kannte; er dürfe sich aber nicht passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erlangt, so der OGH.

Könne er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen, so gelte die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre

Klägerin hatte ausreichend Kenntnis

Im vorliegenden Fall sei die Klägerin der Meinung, Verjährung sei nicht eingetreten, weil ihr als Dritte im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 VersVG ihr Recht auf Leistung durch den Versicherer erst am 3. März 2023 bekannt geworden sei.

Dem widerspricht der OGH. „Bekannt geworden“ sei der Anspruch des Dritten zwar grundsätzlich bei positiver Kenntnis um seinen Anspruch.

Dies müsse aber im Zusammenhang mit § 1489 ABGB gesehen werden, wonach die Kenntnisnahme dann als erfolgt gilt, wenn der Dritte die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung hätte bringen können.

Kein Grund für ein Zuwarten

Hier habe die rechtsfreundlich vertretene Klägerin am 7. November 2019 Kenntnis vom Eintritt des Schadens bekommen, am 22. Juni 2020 habe sie die hier gegenständlichen Forderungen im Konkursverfahren angemeldet.

Bereits zu diesem Zeitpunkt wäre es ihr ohne nennenswerte Mühe möglich gewesen, den Pflichthaftpflichtversicherer durch eine entsprechende Anfrage bei der Zahnärztekammer in Erfahrung zu bringen. Gründe für ein Zuwarten bis Februar oder März 2023 seien nicht ersichtlich, so der OGH.

Damit sei die Rechtsansicht der Vorinstanzen zutreffend, dass die Verjährung bereits eingetreten war, als S.H. erstmals ein Aufforderungsschreiben an den Versicherer gesandt hat. Der Revision sei daher der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob204/24m vom 29. Jänner 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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Haftpflichtversicherung
 
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