19.2.2025 – Mitwirkungspflichten des Versicherten sollen nur ein Beweisproblem lösen, erklärt der Oberste Gerichtshof. Wenn wie im vorliegenden Fall Invalidität feststeht, besteht der Anspruch auf Rehabilitationsgeld auch dann, wenn Mitwirkungspflichten verletzt werden.
Der 1970 geborene, gelernte Schlosser E. war von 1989 bis April 2022 als Metalltechniker tätig gewesen und genießt unstrittig Berufsschutz. Aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen kann er diesen Beruf nicht mehr ausüben.
Sein Krankheitsbild besteht bereits seit mehreren Jahren und lag auch im April, Juni und Juli 2022 vor. Eine berufsschutzerhaltende Verweistätigkeit innerhalb seines Berufsfeldes ist nicht möglich.
Eine Besserung seines Gesundheitszustandes wäre bei regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen und der Inanspruchnahme bestimmter Rehabilitationsmaßnahmen zwar möglich, es kann aber nicht vorausgesetzt werden, dass dies innerhalb von sechs bis neun Monaten eintreten wird.
Im Februar 2022 reichte er bei der Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension samt verschiedener medizinischer Befunde und Berichte ein.
Die Pensionsversicherungsanstalt lud E. daraufhin zur Ermittlung seines aktuellen Gesundheitszustandes zu einer Untersuchung am 11. April 2022 ein. E. sagte diesen Termin mit der Begründung ab, nicht transportfähig zu sein und belegte dies mit einem ärztlichen Zeugnis.
Zwei weitere Termine im Juni und Juli, zu denen er geladen wurde und für die ihm ein Transport mit Begleitung von vorneherein bewilligt worden war, nahm er unentschuldigt nicht wahr. Daraufhin wies die Pensionsversicherungsanstalt seinen Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.
E. reichte nach der Ablehnung Klage ein, in der er die Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. März 2022 fordert. Für den Fall, dass dies abgelehnt wird, stellte er den Eventualantrag, ihm medizinische Maßnahmen der Rehabilitation und Rehabilitationsgeld zu gewähren.
Am 17. Jänner 2023 unterzog sich E. einer persönlichen Untersuchung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen.
Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage auf Zuerkennung einer Invaliditätspension sowie seines Anspruchs auf Maßnahmen der Rehabilitation sowie Rehabilitationsgeld ab 1. März 2022 ab, da er seine Mitwirkungspflicht verletzt habe.
Das Berufungsgericht ergänzte, dass die Pensionsversicherungsanstalt aufgrund des unentschuldigten Nichterscheinens zu zwei Terminen ihrer Entscheidung berechtigterweise den Sachverhalt zugrunde gelegt habe, der sich aus den von E. vorgelegten Unterlagen ergeben habe.
Erst ab 1. Februar 2023 stünden E. Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Rehabilitationsgeld zu. Gegen diese Entscheidung geht E. in einer außerordentlichen Revision beim Obersten Gerichtshof vor, in der er diese Leistungen bereits ab 1. März 2022 fordert.
In seiner rechtlichen Beurteilung betont der OGH, dass nur noch die Zahlung des Rehabilitationsgeldes für den Zeitraum von 1. März 2022 bis 31. Jänner 2023 strittig sei; ansonsten sei das Urteil des Erstgerichts bereits rechtskräftig.
In sozialgerichtlichen Verfahren müsse das Gericht den geltend gemachten Anspruch auf Basis der Sach- und Rechtslage selbständig und unabhängig beurteilen und nicht bloß den vom Versicherten bekämpften Bescheid auf seine Richtigkeit hin überprüfen, so der OGH.
Der OGH kritisiert, dass sich die Vorinstanzen im vorliegenden Fall auf die Prüfung beschränkt haben, ob die Pensionsversicherungsanstalt § 366 Absatz 2 ASVG, der die Folgen einer fehlenden Mitwirkung des Anspruchswerbers regelt, gesetzmäßig angewandt hat.
§ 366 Absatz 2 ASVG berechtige den Versicherungsträger nur, sich mit dem ohne die strittige Untersuchung festgestellten Sachverhalt zu begnügen, um sich in formaler Hinsicht nicht dem Vorwurf unzureichender Ermittlungen auszusetzen. Die Bestimmung löse nur ein Beweisproblem.
Gegenstand des Verfahrens sei hier, ob Invalidität besteht. Dies hänge nicht davon ab, ob im Verwaltungsverfahren § 366 Absatz 2 ASVG richtig angewendet wurde oder nicht.
Der Ansicht des Berufungsgerichts, das sozialgerichtliche Verfahren habe sich auf diese Frage zu beschränken, wenn schon der Bescheid darauf abgestellt wurde, widerspricht der OGH. Dies würde nämlich bedeuten, dass Gerichte an Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens gebunden wären.
Ob sich der Bescheid zu Recht auf § 366 Absatz 2 ASVG stützen kann, sei für die vom Sozialgericht vorzunehmende materielle Prüfung des geltend gemachten Anspruchs daher nicht relevant.
Das bedeute, dass der strittige Anspruch des Klägers im vorliegenden Fall besteht, ohne dass es auf die Frage der etwaigen Verletzung von Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren ankäme.
Es stehe nämlich fest, dass E. bereits zum Stichtag vorübergehend invalid war und dass zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 255b ASVG, nämlich sein Anspruch auf Rehabilitationsgeld, vorlagen.
Vorübergehende Invalidität bestand daher bereits mit 1. März 2022, ab diesem Zeitpunkt habe E. Anspruch auf Rehabilitationsgeld. Der OGH hat die Entscheidungen der Vorinstanzen in diesem Sinne abgeändert.
Die OGH-Entscheidung 10ObS60/24g vom 14. Jänner 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.
Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu! Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.at.
Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.at.
Der VersicherungsJournal Newsletter informiert Sie von montags - freitags über alle wichtigen Themen der Branche.
Ihre Vorteile