4.3.2025 – Die Unfallversicherung eines gelernten Kochs soll auch bei Berufsunfähigkeit infolge unfallbedingter Invalidität eine Leistung erbringen. Weil die Tätigkeit eines Kochs uneingeschränkten Geruchs- und Geschmackssinn bedinge, sei der Kläger nicht mehr als Koch, sondern nur noch als Hilfskraft tätig. Die Revision des Versicherers wurde vom OGH zurückgewiesen.
Bei einem Unfall im Juli 2020 verlor der gelernte Koch P.A. komplett seinen Geruchssinn. Sein Geschmackssinn wurde insofern beeinträchtigt, als ihm ein differenziertes (Ab-)Schmecken nicht mehr möglich ist.
P.A. führt eine Pension mit à-la-carte-Betrieb. Zum Zeitpunkt des Unfalls arbeitete er als Koch und Küchenchef gemeinsam mit einem Sous-Chef und einer Küchenhilfe. Er und der zweite Koch führten gemeinsam alle Tätigkeiten eines Kochs samt Hilfsarbeiten in der Küche aus.
Seit dem Unfall kocht nur noch der ehemalige Sous-Chef; P.A, ist als Hilfskraft in der Küche tätig, richtet Teller an und erledigt Vorbereitungsarbeiten. Er kocht nicht mehr selbständig, weil er die Gerichte nicht abschmecken, würzen oder à la minute zubereiten kann.
Vereinzelt bereitet er noch Speisen nach fixen Mengenangaben und vorgegebener Rezeptur an. Er ist nicht in der Lage, die Zutaten auf ihre Qualität zu überprüfen und kann sie nur mechanisch in der vom Rezept vorgegebenen Menge zusammenstellen.
P.A. verfügt über eine Unfallversicherung, vereinbart sind die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung 2019 UE00 in der Fassung 9/2019.
Laut den Bestimmungen des Artikels 7.9 zur dauernden Invalidität leistet der Versicherer bei dauernder vollständiger Berufsunfähigkeit durch einen Versicherungsfall unabhängig vom Invaliditätsgrad 100 Prozent der dafür versicherten Summe.
Voraussetzung ist, dass der Versicherte „infolge des Unfalls voraussichtlich auf Lebenszeit überwiegend (mehr als 50 Prozent im Vergleich mit einem körperlich und geistig Gesunden mit vergleichbaren Fähigkeiten und Kenntnissen) außerstande“ ist, den zum Unfallzeitpunkt ausgeübten Beruf auszuüben.
In diesem Fall darf der Versicherte diese Erwerbstätigkeit auch tatsächlich nicht mehr ausüben.
Von seinem Unfallversicherer fordert P.A. in einer Klage 150.000 Euro. Erst- und Berufungsgericht gaben der Klage statt, der Versicherer legte daraufhin Revision beim Obersten Gerichtshof (OGH) ein.
Dieser betont, dass im vorliegenden Fall ein Unfallversicherungsvertrag besteht, versichertes Risiko sei die dauernde Invalidität, nicht aber die Berufsunfähigkeit.
Artikel 7.9 der Bedingungen beinhalte aber eine Zusatzvereinbarung über die Berechnung der Leistung für eine unfallbedingte dauernde Invalidität, die zusätzlich noch eine Berufsunfähigkeit bewirkt. Für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit dürfe der bisherige Beruf faktisch nicht mehr ausgeübt werden.
Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer werde diese Bestimmung so verstehen, dass die Berufsunfähigkeit an die Unfähigkeit anknüpft, den zuletzt ausgeübten Beruf mit allen Kenntnissen und Fähigkeiten, dessen sozialer Stellung und Sicherheit sowie dem Ansehen in der Öffentlichkeit auszuüben.
Es stehe fest, dass P.A. durch den Unfall eine dauernde Invalidität erlitt, so der OGH. Strittig sei im Revisionsverfahren nur noch, ob er seinem bisherigen Beruf weiterhin nachgeht.
Dazu erläutert der OGH, dass die Tätigkeit eines Kochs grundsätzlich den uneingeschränkten Geruchs- und Geschmackssinn der handelnden Person bedingt. Es gebe in einer Küche mit Ausnahme von Hilfsarbeiten keinen Aufgabenbereich, bei dem dies nicht nötig sei.
Auch beim Einkauf seien Geruchs- und Geschmackssinn für die Qualitätsprüfung der Lebensmittel von zentraler Bedeutung, das bloße „In-Augenschein-nehmen“ reiche nicht aus. Grundarbeiten und Zuarbeiten würden auf der „Ebene einer Hilfskraft“ stehen.
Im vorliegenden Fall komme P.A. seit dem Unfall wesentlichen und prägenden Tätigkeiten eines Kochs, wie dem selbständigen Zusammenstellen von Menüs und dem Abschmecken und Zubereiten von Speisen, nicht mehr nach.
Auch wenn sich die von ihm weiterhin ausgeübten Hilfstätigkeiten mit auch von einem Koch ausgeübten Tätigkeiten überschneiden, übe er nicht mehr den Beruf eines Kochs, sondern den einer Küchenhilfe aus.
Diese Beurteilung der Vorinstanzen wird vom OGH geteilt. Die von P.A. übernommenen Tätigkeiten seien qualitativ nur noch untergeordnete Teiltätigkeiten seines erlernten und vor dem Unfall ausgeübten Berufs. Die Revision des Versicherers wurde daher zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 7Ob200/24y vom 29. Jänner 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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