Insolvenzrechtsschutz: Deckung für Anfechtungsklage?

21.6.2024 – Mehr als 300.000 Euro forderte ein Insolvenzverwalter in einer Anfechtungsklage von einer GmbH, was die Streitwertobergrenze im Allgemeinen Vertragsrechtsschutz überstieg. Eine Deckung durch den Insolvenzrechtsschutz lehnte der Versicherer aber ab. Der OGH entschied: Anfechtungsklagen stehen in einem engen Zusammenhang mit Insolvenzverfahren, der Versicherer muss Deckung gewähren.

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Bild: Tingey Injury Law Firm
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Die L. GmbH hatte an die D. GmbH Forderungen aus Lieferungen, Leistungen und geleisteten Anzahlungen und meldete diese nach dem Konkurs der D. GmbH im Jahr 2021 im Insolvenzverfahren an.

Im Juni 2022 brachte der Masseverwalter der D. GmbH eine Anfechtungsklage gegen die L. GmbH ein. Er fordert von der L. GmbH einen Betrag von rund 312.000 Euro und begründet dies mit „anfechtbaren Rechtshandlungen“.

Von ihrem Rechtsschutzversicherer begehrt die L. GmbH Rechtsschutzdeckung für diesen Anfechtungsprozess aus dem Rechtsschutzbaustein des Insolvenzrechtsschutzes.

Bedingungslage

Die L. GmbH verfügt über einen Firmen-Rechtsschutzversicherungsvertrag, der auch einen Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz sowie den Baustein „Insolvenzrechtsschutz“ enthält. Vereinbart sind unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2012).

Im „Artikel 23 Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz“ ist unter anderem eine Streitwertobergrenze für den Betriebsbereich von 150.000 Euro vereinbart.

Im Insolvenzrechtsschutz „gelten die Kosten der Forderungsanmeldung und Vertretung im Insolvenzverfahren bis zur Höhe der Vertretungskosten eines bevorrechteten Gläubigerschutzverbandes“ als versichert.

Weiter heißt es in der Klausel: „Pro Versicherungsjahr gelten drei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Insolvenzrecht mitversichert. Der Versicherungsschutz gilt unabhängig davon, ob der Allgemeine Vertragsrechtsschutz gemäß Art 23 ARB vereinbart wurde.“

Vorinstanzen widersprüchlich

Der Versicherer bestreitet die Deckungspflicht. Er erklärt, dass die Abwehr von Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters grundsätzlich vom Artikel 23 Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz umfasst sei, im vorliegenden Fall aber die Streitwert-Obergrenze überschritten werde.

Das Erstgericht schloss sich der Argumentation des Versicherers an, dass im Rechtsschutzbaustein Insolvenzrechtsschutz nur insolvenzrechtliche Streitigkeiten im eigentlichen Sinn, also die Beteiligung an und die Vertretung in einem Insolvenzverfahren umfasst seien und wies die Klage ab.

Das Berufungsgericht gab der Klage dagegen statt. Ein verständiger Versicherungsnehmer müsse die Umschreibung des versicherten Risikos so verstehen, dass auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht und damit außerhalb des eigentlichen Insolvenzverfahrens umfasst sind.

Baustein regelt zwei verschiedene Risiken

Der Versicherer legte gegen diese Entscheidung Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser betont in seiner rechtlichen Beurteilung, dass der Insolvenzrechtsschutz-Baustein Teil der allgemeinen Risikoumschreibung sei.

Im vorliegenden Fall beinhalte dieser Baustein die im ersten Satz beschriebene Deckung im eigentlichen Insolvenzverfahren für die Forderungsanmeldung. Daneben werden im zweiten Satz als zweite Risikoumschreibung auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht erfasst.

Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ergebe sich dies aus dem Wort „mitversichert“, das ansonsten keinen Bedeutungsinhalt hätte, so der OGH. Darüber hinaus sei im ersten Satz vom „Insolvenzverfahren“, im zweiten von „Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht“ die Rede.

Das bedeute, dass die beiden Sätze andere Fälle vor Augen haben. Außerdem müsse im Insolvenzverfahren nicht zwangsläufig eine Streitigkeit vorliegen. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers regle der Baustein daher zwei verschiedene Risiken.

Anfechtungsklagen sind „insolvenznahe“

Es sei zu prüfen, was vom Begriff der „Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht“ umfasst sei. Zwar würden die Bedingungen dafür keine nähere Definition enthalten, der Begriff werde aber in verschiedenen Gesetzen verwendet, was für die Auslegung wichtige Anhaltspunkte liefere.

So nenne die EU-Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO) in Artikel 6 Anfechtungsklagen ausdrücklich als Beispiel für einen engen Zusammenhang mit Insolvenzverfahren. Und § 43 der Insolvenzordnung verweise Anfechtungsklagen in die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts.

Ebenso wurden in früheren Entscheidungen des OGH Anfechtungsklagen als klassisches Beispiel für eine insolvenznahe Klage bezeichnet und auch in der Lehre werden Klagen aus dem Anfechtungsrecht als insolvenznahe angesehen, so der OGH.

Anfechtungsprozess vom Insolvenzrechtsschutz erfasst

Materiell-rechtlich sei der Anfechtungsanspruch ein Forderungsanspruch eigener Natur, der das Ziel hat, jenen Zustand herzustellen, in dem sich die Masse befände, wenn die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden wäre.

Mit der Anfechtung solle eine Verkürzung der Insolvenzmasse ausgeglichen werden, womit sie sich auf das im Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen beziehe. Es bestehe daher materiell-rechtlich ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht.

Daher sei im vorliegenden Fall der Anfechtungsprozess als eine Streitigkeit im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht vom vereinbarten Rechtsschutzbaustein „Insolvenzrechtsschutz“ erfasst.

Revision zurückgewiesen

Dass Anfechtungsprozesse auch im Allgemeinen Vertragsrechtsschutz erfasst sein können, sei nicht relevant, auch wenn grundsätzlich eine klare Abgrenzung der Deckung zwischen einzelnen Rechtsschutzbausteinen Voraussetzung für eine problemfreie Nutzung des flexiblen Systems zur Produktgestaltung nötig sei.

Allerdings weise im vorliegenden Fall der Versicherer selbst darauf hin, dass der Versicherungsschutz im Insolvenzrechtsschutz unabhängig davon gelte, ob der Allgemeine Vertragsrechtsschutz vereinbart wurde.

Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer könne dies nur bedeuten, dass die Geltung des Insolvenzrechtsschutz-Bausteins nicht von einer Deckung im Allgemeinen Vertragsrechtsschutz und damit auch nicht von der dort vereinbarten Streitwertobergrenze abhängt.

Da im Insolvenzrechtsschutz unstrittig keinen Streitwertobergrenze vereinbart ist, hat der Versicherer für den Anfechtungsprozess Deckung zu gewähren. Die Revision des Versicherers erwies sich als nicht berechtigt.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob14/24w vom 17. April 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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