25.11.2024 – Krankengeld, Aussteuerung, Kündigung, Notstand, dazu Verunsicherung: Jürgen E. Holzinger zeichnet den Weg derer nach, die auf das staatliche Gesundheitssystem angewiesen sind, „aber enttäuscht werden“. Er hält eine BU-Reform für dringend nötig. – Der achte und letzte Teil der BU-Serie.
In den letzten sieben Artikeln zum Thema Berufsunfähigkeit habe ich versucht darzustellen, wie wichtig aus meiner Praxissicht eine private Absicherung der persönlichen Arbeitskraft ist.
Nun möchte ich auf das letzte Netz unseres Sozialstaates eingehen, denn die Mehrheit derjenigen, die in Österreich einen Antrag auf Berufsunfähigkeit stellen, landen derzeit leider im Notstand beziehungsweise in der Sozialhilfe (ehemalige Mindestsicherung).
Solange dieser Missstand politisch nicht repariert wird, schieben wir Personen, die zu krank sind, um ihren Job ausüben zu können, in das Sozialsystem ab.
Ich möchte in diesem Artikel chronologisch den Weg derjenigen aufzeigen, die sich aus dem staatlichen Gesundheitssystem Rehabilitation und finanzielle Unterstützung erwarten, da sie ausschließlich darauf angewiesen sind, aber enttäuscht werden.
Wenn man aufgrund einer Erkrankung nicht arbeiten kann und dadurch einen Verdienstentgang hat, besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Krankengeld. Krankengeld gebührt ab dem vierten Tag eines Krankenstandes und für die weitere Dauer dieses Krankenstandes.
Es gibt jedoch Höchstgrenzen, die gesetzlich geregelt sind. Die Anspruchsdauer für Krankengeld beträgt grundsätzlich 26 Wochen. Dieser Anspruch kann sich auf bis zu 52 Wochen erhöhen. Voraussetzung dafür ist, dass man innerhalb der letzten zwölf Monate vor Beginn des Krankenstandes mindestens sechs Monate in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert war.
Wird während des Krankengeldbezuges eine Pensionsleistung zuerkannt (Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspension), so kann dies den Bezug von Krankengeld beenden.
Wichtig ist, dass mit der Erreichung der Höchstanspruchsdauer auf Krankengeld die sogenannte Aussteuerung vom Krankengeld eintritt.
Dies hat zumeist auch zur Folge, dass die Krankenversicherung endet. Damit einhergehend wird die E-Card eingezogen und man hat keine gültige Sozialversicherung mehr.
Erfahrungsgemäß wird die Mehrheit der Betroffenen in der Privatwirtschaft in dieser Zeit gekündigt, auch der Dienstvertrag von Vertragsbediensteten bei Land und Bund endet nach einem Jahr Krankenstand.
Es bleibt nun nur mehr der Weg zum Arbeitsmarktservice, kurz AMS, um dort sein Arbeitslosengeld zu beantragen, um auch wieder sozialversichert zu sein. Doch es gibt einen Haken, es braucht eine Unterschrift, mit der man bestätigt, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen und arbeitswillig zu sein.
Ein klarer Widerspruch zur Situation, in der man sich befindet, denn man ist krank und arbeitsunfähig. Man wartet vielleicht immer noch auf die Entscheidung der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) über den Antrag zur Berufsunfähigkeit, oder man gehört zu den über 73 Prozent der Antragsteller, die einen negativen Bescheid erhalten haben.
So oder so, eine beunruhigende und nervenaufreibende Zeit, die immer tiefer in das Sozialsystem führt.
Die Regierung plante in der Vergangenheit schon einmal mit dem „Arbeitslosengeld Neu“ den zeitlich unbegrenzt möglichen Notstandshilfebezug abzuschaffen. Sobald jemand künftig keinen Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung mehr hat, bleibt damit – ähnlich dem deutschen Hartz-IV-Modell – nur mehr die Sozialhilfe als letztes soziales Netz übrig.
Berufsunfähige werden durch die Überlegungen, die Notstandshilfe abzuschaffen, massiv verunsichert. Dies deshalb, weil damit jenen Menschen, die eine längere Zeit arbeitslos beziehungsweise arbeitsunfähig sind, nur mehr der Weg in die Sozialhilfe (Bedarfsorientierte Mindestsicherung) bliebe.
Mit dem Wegfall der Notstandshilfe würde riskiert werden, dass Berufsunfähige noch weiter in die Armutsfalle geraten und ihnen auch noch mühsam angesparte finanzielle Rücklagen oder Eigentum durch das Abrutschen in die Sozialhilfe entzogen werden.
Der Notstand ist derzeit eine der wichtigsten sozialen Leistungen des AMS für Personen, die privat nicht vorgesorgt haben und von staatlicher Seite keine Rehabilitation erhalten.
Ein Blick in die Zukunft gestaltet sich immer schwierig, jedoch wird die neue Regierung sich der Herausforderung der dringend benötigten Reform in der Berufsunfähigkeit stellen müssen.
Diese Reform muss sowohl die Notstandshilfe erhalten als auch die Rehabilitation bzw. auch Umschulungsmaßnahmen stärken.
Zugleich braucht es mehr Anreiz, sich privat abzusichern. Denn nur aus einer Kombination von staatlicher und privater Absicherung können Betroffene vor dem Sozialsystem und dementsprechend von der Armut geschützt werden.
Es bleibt abzuwarten und weiter spannend, wie sich das Thema Berufsunfähigkeit in Österreich entwickelt.
Der Autor ist Obmann des Vereins Chronischkrank Österreich. Zu den Zielen des Vereins gehört Bewusstseinsbildung rund um den Wert der Arbeitskraft. Der Verein bietet Vorträge und Workshops zum Thema Berufsunfähigkeit an und bietet Betroffenen Hilfestellung.
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