10.7.2024 – Nach einer missglückten Tiefenbohrung mussten das Bohrloch samt bereits eingebrachter Rohre verfüllt und ein anderes Grundstück angekauft werden. Dabei handle es sich um Mangelfolgeschäden, die vom Betriebshaftpflichtversicherer des schuldtragenden Unternehmens gedeckt werden müssen, so der Oberste Gerichtshof.
Im Jahr 2016 war die T. GmbH nach einer öffentlichen Ausschreibung von der G. GmbH beauftragt worden, für ein Projekt zur Gewinnung von Thermalwasser eine Tiefenbohrung abzuteufen (Bergmannssprache: Herstellen eines senkrechten Hohlraums, Anm.).
Bei den Arbeiten kam es zu einer Havarie, die Bohrung scheiterte aufgrund eines Verstoßes der T. GmbH gegen „good oilfield practices“. Das Bohrloch musste aufgegeben werden und wurde mit Zement verfüllt. Die bereits in das Bohrloch eingebrachten Rohre verblieben darin.
Die G. GmbH musste daraufhin ein anderes Grundstück kaufen, die bei den Arbeiten benötigten Schallschutzelemente bis zum Beginn einer neuen Bohrung vorhalten und hatte aufgrund der Verzögerungen einen Mehraufwand für die Wärmeversorgung.
Dafür fordert sie vom Haftpflichtversicherer der T. GmbH mehr als eine Million Euro. Sämtliche Kostenpositionen seien von der Grunddeckung der Haftpflichtversicherung umfasst. Der Versicherer lehnte eine Zahlung ab, alle geltend gemachten Kosten seien Erfüllungssurrogate.
Die T. GmbH hatte eine Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen, vereinbart waren unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung Euro Top 2004 in der Fassung 07/2012.
Artikel 3.3 bestimmte, dass das Leistungsversprechen des Versicherers Ansprüche auf Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung sowie Ansprüche auf Gewährleistung für Mängel nicht umfasst.
Nach Artikel 8.9 erstreckte sich die Versicherung nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden, die an den vom Versicherungsnehmer oder von Dritten in seinem Auftrag hergestellten oder gelieferten Arbeiten oder Sachen infolge einer in der Herstellung oder Lieferung liegenden Ursache entstanden.
In einem Zwischenurteil entschied das Erstgericht, dass alle geltend gemachten Ersatzansprüche der G. GmbH dem Grund nach zu Recht bestehen.
Sämtliche Kostenpositionen – Ersatz der Rohre, Verfüllungskosten des Grundstücks, Wärmeversorgungsmehraufwand, Vorhaltekosten für die Schallschutzwände und Kosten des Ersatzgrundstücks seien von der Grunddeckung umfasst, so das Erstgericht.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung. Nur der Wertersatz für die Rohre und die Kosten für die Verfüllung des Bohrlochs seien von der Versicherung gedeckte Mangelfolgeschäden.
Alle anderen Schäden würden innerhalb des Erfüllungsinteresses der T. GmbH liegen; sie seien zwangsläufig mit der Verbesserung verbundene Erfüllungssurrogate, für die in der Betriebshaftpflichtversicherung keine Deckung bestehe.
Sowohl die G. GmbH als Klägerin als auch der beklagte Versicherer legten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts Revision beim Obersten Gerichtshof ein.
Dieser betont in seiner rechtlichen Beurteilung, dass in der Betriebshaftpflichtversicherung die Ausführung der bedungenen Leistung grundsätzlich nicht versichert sei, da das Unternehmerrisiko nicht auf den Versicherer übertragen werden soll.
Daher umfasse das Leistungsversprechen des Versicherers keine Ansprüche auf die Erfüllung von Verträgen, ebenso wenig die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung (Erfüllungssurrogate) oder Ansprüche auf Gewährleistung für Mängel.
Der Versicherungsschutz umfasse nur jenen Schaden, der über das Erfüllungsinteresse des Dritten an der Leistung des Versicherten hinausgeht. Dazu zählen insbesondere Mangelfolgeschäden, die daraus resultieren, dass die mangelhafte Leistung an anderen Vermögenswerten Schäden hervorrief.
Bei den Rohren habe es sich um für die Vertragsleistung beigestelltes Material gehandelt, die der G. GmbH gehört haben; die Lieferung der Rohre habe nicht zur Vertragsleistung der Versicherungsnehmerin gehört, so der OGH.
Die T. GmbH sei mit dem Abteufen der Tiefbohrung beauftragt gewesen; dabei habe es sich um einen Werkvertrag gehandelt, bei dem der Auftragnehmer im Rahmen der getroffenen Vereinbarung ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk schulde.
Die Rohre seien von der T. GmbH so beschädigt worden, dass sie aus wirtschaftlicher Sicht unwiederbringlich verloren waren. Dies sei eine Schädigung „anderer Vermögenswerte“ gewesen, daher handle es sich um einen gedeckten Mangelfolgeschaden.
Da die T. GmbH die Rohre weder hergestellt noch geliefert hat, greife auch der Risikoausschluss des Artikels 8.9 der Bedingungen nicht, so der OGH.
Bei den Kosten für die Verfüllung der Bohrung handle es sich um Kosten für die Sanierung der beschädigten Liegenschaft; sie mussten nicht aufgewendet werden, um die G. GmbH in den Genuss der geschuldeten Leistung zu bringen.
Für die Durchführung einer mangelfreien Tiefenbohrung an einer anderen Stelle wäre es nämlich nicht nötig gewesen, das havarierte Bohrloch zu füllen.
Es seien nur jene Kosten ausgeschlossen, die für die Beseitigung des Mangels selbst aufgewendet werden; Folgeschäden an anderen Sachen, die durch die mangelhafte Werkleistung des Versicherungsnehmers angerichtet werden, seien gedeckt, betont der OGH.
Damit erwies sich die Revision des Versicherers nicht als berechtigt. Die Forderung, der Versicherer habe die Kosten für die Rohre und die Verfüllung des Bohrlochs in Höhe von rund 445.000 Euro zu decken, bestehe dem Grunde nach zu Recht.
Dasselbe gelte für das als Ersatz von der G. GmbH angekaufte Grundstück. Es sei unstrittig, dass die G. GmbH das ursprünglich für die Bohrung vorgesehene Grundstück beigestellt hat; es sei damit nicht Gegenstand des zwischen G. GmbH und T. GmbH geschlossenen Vertrags gewesen.
Daher habe auch der für eine neuerliche Bohrung notwendige Ankauf des zweiten Grundstücks nicht der Erreichung des unmittelbaren Leistungsinteresses gedient, womit es sich um einen gedeckten Folge- bzw. Begleitschaden handle.
Was die Mehrkosten für die Wärmeversorgung betrifft, sei nicht klar, ob es sich um Kosten für die Mangelbehebung oder um Folge- und Begleitschäden handle. Auch die Frage, ob das Vorhalten der Schallschutzwände ein Erfüllungssurrogat darstelle, könne noch nicht beantwortet werden, so der OGH.
Die Revision der G. GmbH war daher berechtigt, die Entscheidungen der Vorinstanzen wurden vom OGH aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die OGH-Entscheidung 7Ob18/24h vom 22. Mai 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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