28.4.2025 – Das Nichttragen eines Fahrradhelms beim Fahren mit einem E-Bike sei als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zu werten, so die Höchstrichter. Es bestehe eine Obliegenheit zum Tragen eines Helms, Schmerzensgeldansprüche können deshalb um das „Helmmitverschulden“ gekürzt werden. Andere Ersatzansprüche bleiben aber unberührt.
Im Februar 2023 ereignete sich im Bereich eines Geh- und Radwegs eine Kollision zwischen einem E-Bike und einem Pkw, bei der der E-Bike-Lenker, der ohne Fahrradhelm unterwegs war, vor allem im Kopf- und Gesichtsbereich schwer verletzt wurde.
Der Pkw-Lenker wollte zu einer Tankstelle zufahren und missachtete das dort angebrachte Verkehrsschild „Einfahrt verboten“. Er hatte zwar vor dem Geh- und Radweg angehalten, doch war ihm die Sicht durch eine Hecke stark eingeschränkt. Als er langsam losfuhr, kam es zur Kollision.
Es steht fest, dass den Pkw-Lenker das Alleinverschulden am Unfall trifft. Hätte der E-Bike-Fahrer allerdings einen Helm getragen, wären seine Schmerzen um ein Fünftel geringer ausgefallen.
In einer Klage gegen den Pkw-Lenker und dessen Haftpflichtversicherer fordert der E-Bike-Fahrer Schadenersatz für unfallkausal an den Zähnen erlittene Schäden, Schmerzensgeld, Ersatz von unfallkausalem Aufwand und Sachschäden sowie Feststellung der Haftung für Spät- und Dauerfolgen.
Die Beklagten anerkannten ein Schmerzensgeldbegehren von 4.290 Euro. Sie argumentieren, dass den E-Bike-Fahrer wegen Nichttragens eines Fahrradhelms ein Mitverschulden treffe. Das deutlich höhere Beschleunigungspotenzial von E-Bikes stelle eine erhöhte Gefahr dar.
Das Erstgericht sah das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls beim Pkw-Lenker, lastete dem E-Bike-Fahrer aber ein Mitverschulden in Höhe von 20 Prozent an und kürzte dementsprechend alle seine Ansprüche.
Er sei mit überdurchschnittlicher Radfahrgeschwindigkeit unterwegs gewesen, außerdem bestehe unter E-Bike-Fahrern mittlerweile ein allgemeines Bewusstsein zum Tragen eines Helms, so das Erstgericht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des E-Bike-Fahrers Folge und sprach ihm einen geringfügig höheren Betrag zu. Es entschied, dass eine Gegenforderung der Beklagten nicht berechtigt sei und dass ein Mitverschulden des Klägers wegen Nichttragens eines Helms zu verneinen sei.
Der E-Bike-Fahrer sei auf einem Geh- und Radweg unterwegs gewesen, er sei wegen seiner Geschwindigkeit und Fahrweise auch nicht als sportlich ambitioniert einzuschätzen gewesen. Das E-Bike sei in der vorliegenden Situation nicht anders zu bewerten als ein normales Fahrrad.
Ein allgemeines Bewusstsein von der Wichtigkeit des Tragens eines Fahrradhelms lasse sich aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht ableiten. Die ordentliche Revision wurde zur Klärung der Frage des Mitverschuldens eines E-Bike-Fahrers aufgrund des Nichtragens eines Helms zugelassen.
In der Revision sei nur die Frage strittig, ob den Kläger wegen Nichttragens eines Fahrradhelms ein „Helmmitverschulden“ trifft und welche Folgen die Annahme eines solchen Mitverschuldens gegebenenfalls hat, so der Oberste Gerichtshof in seiner rechtlichen Beurteilung einleitend.
Für ein Mitverschulden nach § 1304 ABGB sei weder ein Verschulden im technischen Sinn noch ein rechtswidriges Verhalten notwendig, betont der OGH. Es genüge Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, zu denen auch die Gesundheit zähle.
Einem Geschädigten könne eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten dann vorgeworfen werden, wenn er Schutzmaßnahmen unterlassen hat, „die nach dem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise von jedem Einsichtigen und Vernünftigen anzuwenden gewesen wären“.
Nach wie vor gebe es keine gesetzliche Verpflichtung für Erwachsene, einen Fahrradhelm zu tragen. Es stelle sich daher die Frage, ob sich in den beteiligten Kreisen ein allgemeines Bewusstsein herausgebildet hat, dass jeder Einsichtige und Vernünftige beim E-Bike-Fahren einen Fahrradhelm trägt.
Wenn zur Beurteilung einer Frage wie in diesem Fall die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen, seien dazu weder eine Beweisaufnahme noch Feststellungen nötig, so der OGH.
Auch schwache E-Bikes mit einer Bauartgeschwindigkeit von höchstens 25 km/h wie im vorliegenden Fall würden gegenüber konventionellen Fahrrädern bauliche Abweichungen aufweisen. Dies rechtfertige die Annahme eines angepassten und graduell höheren Sorgfaltsmaßstabs.
Beim E-Bike-Fahren trete ein im Vergleich zum konventionellen Radfahren besonderes Gefahrenmoment hinzu. Das führe auch dazu, dass die Helmtragequote bei E-Bike-Fahrern wesentlich höher ist als bei anderen Radfahrern.
Die Lebenserfahrung zeige auch, dass in der Bevölkerung die Wichtigkeit und Bedeutung des Helmtragens beim E-Bike-Fahren schon aufgrund der gesteigerten Unfallhäufigkeit allgemein verankert sei. Damit sei eine Obliegenheit zum Helmtragen für E-Bike-Fahrer zu bejahen.
Jedenfalls sei zum Zeitpunkt des hier strittigen Unfalls das Nichttragen eines Fahrradhelms beim E-Bike-Fahren als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zu werten. Die gebotene Kürzung um das Helmmitverschulden wirke sich aber nur auf Schmerzensgeldansprüche aus.
Da den E-Bike-Fahrer im vorliegenden Fall kein Auslösungsmitverschulden treffe, sei sein Schmerzensgeldanspruch nur um das Helmmitverschulden zu kürzen. Diese Kürzung komme aber nur bei jenen Verletzungen in Betracht, die beim Tragen des Helms vermieden worden wären.
Da der Kläger beim Tragen eines Helms um ein Fünftel weniger Schmerzen erlitten hätte, unterliege nur ein Fünftel des aufgrund der konkreten Unfallfolgen angemessenen Schmerzensgeldes der Kürzung um das Helmmitverschulden.
Konkret sei das Schmerzensgeld in diesem Fall um 600 Euro zu kürzen, nur in diesem Umfang habe die Revision des Pkw-Lenkers und seines Versicherers Erfolg. Die weiteren Ersatzansprüche bleiben von der Kürzung infolge des Helmmitverschuldens unberührt, so der OGH.
Die OGH-Entscheidung 2Ob15/25g vom 25. März 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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