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„Zu viele Köche“ in der Regulierungsküche

16.9.2024 – In jüngerer Vergangenheit habe man es in Europa mit der Regulierung übertrieben, sagt Karel Van Hulle und glaubt, dass deren Intensitätsgrad selbst Aufsichtsbehörden überfordert. Er mahnt die Prinzipien der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der besseren Rechtssetzung an – und zeigt sich „optimistisch“.

Paragraphenflut (Bild: Gerd Altmann auf Pixabay)
Bild: Gerd Altmann auf Pixabay

„Wer Großes will, muss sich zusammenraffen; in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister“, schrieb Goethe einst. Den zweiten Teil des Satzes rief Karel Van Hulle letzten Donnerstag beim „Expert:innentreffen der Versicherungsmakler 2024“ in Rust am See in Erinnerung, denn „ich glaube, wir haben diesen Leitsatz vergessen“.

Van Hulle, von 2004 bis März 2013 Leiter der Abteilung Versicherungen und Renten der Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen in der EU-Kommission sowie Honorar-Professor der Gothe-Universität Frankfurt und Associate Professor an der KU Leuven, bezog sich dabei auf die Regulierung in Europa.

„Der Umfang der in den letzten fünf Jahren verabschiedeten EU-Rechtsvorschriften ist beeindruckend“, lautete sein Befund. Von der Qualität der Rechtsetzung ist Van Hulle indes nicht im selben Ausmaß beeindruckt.

Übertriebene Regulierung

In den vergangenen Jahren habe man es mit der Regulierung übertrieben; zu viel Paternalismus, zu wenig Eigenverantwortung. Gesetze würden geändert, bevor sie jemals angewendet wurden, es gebe „zu viele Köche in der Küche – und das schmeckt nicht mehr“.

Dass EU-Rechtsvorschriften für den Finanzdienstleistungssektor auf drei Ebenen erlassen werden – Gesetz, Durchführungsakte der Kommission, Aufsicht –, erschwere es, den Überblick über den Stand der Dinge zu behalten.

Geradezu als „Sintflut“ stellt sich für Van Hulle das Ausmaß an Leitlinien und Erklärungen der europäischen Aufsichtsbehörden dar. Deren Anzahl sei inzwischen beträchtlich.

Dabei sind seiner Ansicht nach selbst Aufsichtsbehörden damit überfordert, all das, was inzwischen reguliert ist, tatsächlich vollumfänglich zu beaufsichtigen.

Regulierungskettenreaktion

Das Problem: Fängt man mit dem Regulieren erst einmal an, dann gehe das Regulieren auch weiter: Wenn der Gesetzgeber prinzipienbasiert regle, also nicht allzu detaillierte Vorgaben mache, sehe er sich bald mit der Frage der Betroffenen konfrontiert, was das nun konkret zu bedeuten hat.

Karel Van Hulle (Bild. Archiv)
Karel Van Hulle (Bild. Archiv)

Die Folge: Es werden detailliertere Regelungen erlassen – die dann allerdings auf wenig Gegenliebe stoßen können.

Van Hulle: „Manchmal ist es besser, eine Frage nicht zu stellen, weil Sie eine Antwort bekommen könnten, die Ihnen nicht gefällt.“

„Optimistisch“

Gleichwohl zeigte er sich „optimistisch“: Er habe den Eindruck, dass langsam Einsicht einkehre.

Europa wachse, wenn es unter Druck steht – und Druck bestehe aus verschiedenen Gründen, darunter die Abwanderung der verarbeitenden Industrie aus Europa, eine mögliche Wiederwahl Trumps, der Ukraine-Krieg.

Was berücksichtigt werden sollte

Für die Zukunft nannte Van Hulle eine Reihe von Kriterien, die seiner Ansicht nach beim Regulieren Berücksichtigung finden sollten.

Man müsse nicht alles einheitlich regeln, sagte er und stellte die Frage in den Raum, was beispielsweise eine Provisionsregelung mit Europa zu tun habe. Bei Rechtssetzungsinitiativen müsse im Sinne einer besseren Rechtssetzung mehr auf Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität geachtet werden.

Auch müsse es vor der Annahme eines EU-Gesetzes künftig Folgenabschätzungen zu Änderungsvorschlägen des Rates und des Parlaments geben, in denen die Auswirkungen dieser Änderungsvorschläge bewertert werden.

Und bevor die Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) neuerlich überarbeitet wird, müssen seiner Ansicht nach „Mittel und Wege zur Vereinfachung des Regulierungs- und Aufsichtsaufwandes geprüft werden“.

Diskussion wird mit Abschluss der RIS nicht enden

Derweil steht aber die Finalisierung der Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy; RIS) im Mittelpunkt, die in den nächsten Monaten erfolgen sollte.

Van Hulle meinte, es könne nicht sein, dass eine Kleinanlegerstrategie den Versicherungsvertrieb regelt. „Das hat mit Anlage nichts zu tun. Das ist falsch.“

Doch auch wenn die Kleinanlegerstrategie bald unter Dach und Fach sein wird: „Mit der RIS ist es nicht vorbei“, sagte Van Hulle.

Die Diskussion, wie dem Markt Kapital zugeführt werden kann, werde weitergeführt werden und der Fokus auf das Retailgeschäft wohl auch in den kommenden Jahren auf der Tagesordnung bleiben.

Schlagwörter zu diesem Artikel
IDD · Provision · Vermittlerrichtlinie · Versicherungsmakler · Versicherungsvertrieb
 
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