VVO-Präsident Vrignaud: „Wir sind noch im Jahre 1975“

3.7.2024 – Für eine vom VVO und Peter Hajek präsentierte Online-Erhebung wurden 1.000 Österreicher im Juni 2024 zu ihrer Altersvorsorge befragt. Deutlich ist die Unterrepräsentanz der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge. Der VVO fordert eine Senkung der Versicherungssteuer und steuerliche Absetzbarkeit. Das österreichische Pensionssystem müsse dringend reformiert werden.

VVO-Präsident Remi Vrignaud (Bild: Georg Wilke)
VVO-Präsident Remi Vrignaud
(Bild: Georg Wilke)

Der Vorstand des Versicherungsverbandes (VVO) fordert die Förderung der privaten Altersvorsorge. In Österreich sei die erste Säule vorhanden und intakt, so Generalsekretär Christian Eltner.

Das sei zur Bekämpfung der Altersarmut, zur Sicherung des Konsums im Alter und volkswirtschaftlich von großer Bedeutung.

Zusätzlich sei aber eine Stärkung der zweiten Säule und dritten Säule wichtig.

Wenig positiver Blick auf die Pension

In einer vom VVO und Peter Hajek, Geschäftsführer von Peter Hajek Public Opinion Strategies GmbH, durchgeführten Online-Erhebung wurden 1.000 Österreicher im Juni 2024 zu ihrer Altersvorsorge befragt.

Die Österreicher glauben „eher weniger“, dass sie mit der staatlichen Pension ihren Lebensstandard aufrechterhalten können, so Hajek. Nur zehn Prozent glauben, dass sie den Lebensstandard in ihrer Pension „sicher“ halten könnten, weitere 27 Prozent „eher“. 58 Prozent haben einen nicht so positiven Blick in die Zukunft.

Männer sehen ihre Zukunft als Pensionist signifikant positiver als Frauen. Grund sei die deutlich „gebrochene Erwerbstätigkeit und die Kinderbetreuung bei Frauen“, so Hajek. Die jungen Österreicher sehen ihre eigene Zukunft positiver, dies könne allerdings „auch dem Übermut der Jugend geschuldet sein“.

Zwei von fünf Österreichern haben vorgesorgt – aber reicht das?

41 Prozent der Österreicher sorgen privat vor, haben eine Arbeitgeberpension und/oder eine andere Form der Anlage, so die Studie. Davon haben jene mit höherem Bildungsabschluss eher eine betriebliche Zusatzpension.

Männer, Berufstätige und da wiederum jene, die mehr verdienen, sorgen auch mehr vor. Bei den Geringverdienern sorge immerhin ein Drittel bereits privat vor. Jene in Ausbildung liegen vorsorgemäßig signifikant darunter.

Drei Viertel jener Menschen, die extra vorsorgen, haben eine private Zusatzpension. Für ein Drittel hat der Arbeitgeber eine Zusatzpension abgeschlossen. Nur rund acht Prozent haben Sparformen, Veranlagungen oder Immobilien als reine Altersvorsorge angeschafft.

Frauen sorgen zu wenig vor

Immerhin 59 Prozent haben aber nicht extra vorgesorgt. Das hat verschiedene Gründe. Viele können oder wollen sich die Zusatzpension nicht leisten. Hier wiederum besonders Frauen, Menschen im ländlichen Raum, jene mit geringerem Einkommen und die unter 30-Jährigen.

Fast jeder Zweite könne sich vorstellen, regelmäßig in eine Pension einzuzahlen. Zumindest 40 Prozent könnte man versuchen hier „abzuholen“, so Hajek. Personen mit Matura seien laut Studie leichter für eine private Altersvorsorge zu gewinnen.

Aus der Sicht der Österreicher sei ein Lebensalter von 28 Jahren der geeignete Zeitpunkt, um mit der Altersvorsorge zu beginnen.

Dazu komme, dass die Österreicher wenig risikofreudig sind. Wobei Männer, Jugendliche bis 30 Jahre und Personen mit höherem Bildungsabschluss durchaus bereit seien, für mehr Ertrag auch mehr Risiko einzugehen.

Steuerliche Absetzbarkeit

Steuerliche Absetzbarmöglichkeit, also Anreize und Förderungen, seien für Berufstätige und höhere Einkommen interessant, so Hajek.

Menschen, denen die staatliche Pension reicht, tendierten eher zu einer einmaligen Auszahlung. „Je unsicherer die Absicherung, desto eher tendiert man zur monatlichen Auszahlung, um eine Absicherung im Alter zu haben“, so Hajek.

Kritik an Reformstillstand

VVO-Vizepräsident Ralph Müller verwies auf die steigende Lebenserwartung – in den nächsten zehn bis zwölf Jahren gingen viele Menschen in Pension. Die Bereitschaft, länger zu arbeiten, sei gering. Die Gesellschaft altere stark. Dem stünden eine hohe Staatsverschuldung plus hohe Ausgaben für Pensionen gegenüber.

Das staatliche Pensionssystem müsse auch generationengerecht sein. Die Generation der Babyboomer habe in den letzten Jahrzehnten weniger Pensionisten mitfinanzieren müssen. In den 90er-Jahren kamen vier Erwerbsfähige auf einen Pensionisten, 2040 werden es nur mehr zwei sein.

Das sorge für einen immensen Druck auf das Umlagesystem, so Müller. Auch die Bereitschaft, bei den Pensionen Kürzungen zu akzeptieren, sei nicht gegeben. Eigentlich hätte man in den letzten Jahren höhere Versicherungsbeiträge leisten müssen und Rückstellungen bilden sollen, um den demographischen Wandel zu kompensieren, so Müller.

Jeder vierte Steuer-Euro geht in Pensionen

Themen wie Kapitalmarkt oder ähnliches seien aber stark verpönt, sagt Müller. Es herrsche die Sorge vor, dass in der zweiten und dritten Säule Gelder verspekuliert würden und so wurden sie vernachlässigt. Der Bundeszuschuss sorge nun für ein Problem beim Staatshaushalt und steige tendenziell an.

„Jeder vierte Steuer-Euro geht in die Finanzierung von Pensionen“, so Müller. Ohne Krisen und gesundes Wachstum sei das System weiter finanzierbar, es werde aber sehr teuer. Die Gelder fehlten dann für Forschung, Entwicklung, Bildung, grüne Transformation etc.

„Die zweite und dritte Säule muss gefördert werden“, betont Müller. Vorteilhafte Nebenwirkungen seien mehr Kaufkraft, mehr Geld zur Bewältigung der Klimakrise, mehr Stabilität im Pensionssystem, mehr Kapital für Investitionen.

Steuerliche Absetzbarkeit gefordert

Eltner fordert daher steuerliche Absetzbarkeit, um Produkte der zweiten und dritten Säule attraktiver zu machen. Derzeit betrage die Versicherungssteuer vier Prozent auf längerfristige Lebensversicherungen. Es wäre angemessen, den Steuersatz auf zwei Prozent zu halbieren. Das koste den Staat nicht sehr viel und komme direkt dem Kunden zugute.

Ein Kuriosum bei der betrieblichen Altersvorsorge sei der Freibetrag von 300 Euro, der seit 1975 nicht angepasst worden sei. Der Freibetrag müsse auf mindestens 1.200 Euro pro Jahr valorisiert werden, fordert Eltner.

Der VVO habe diese Forderungen an die Politik herangetragen und werde das weiterhin tun. Der Blick richte sich auf die neue Zusammensetzung der Regierung nach der Nationalratswahl.

Diese Forderungen müssten ins Regierungsprogramm kommen, um eine Win-win-Situation zu schaffen, so Eltner. „Vorsorgeprodukte der zweiten und dritten Säule können das Pensionssystem alleine nicht retten, aber wir können Teil der Lösung sein, wenn die Rahmenbedingungen passen.“

Ideologische Vorbehalte verhindern die private Vorsorge

Politisch gebe es vonseiten einiger Parteien keine Bereitschaft, die dritte Säule zu propagieren. Hier scheinen ideologische Vorbehalte gegenüber dem freien Kapitalmarkt Schuld daran zu sein, dass es parteipolitischen Widerstand gibt, so Eltner.

Vorbilder könnten die Schweiz oder die Niederlande sein. Auch Norwegen und Dänemark hätten frühzeitig angefangen, kapitalmarktorientierte Lösungen stärker zu forcieren. Der Staat könne einige Milliarden freispielen durch die Förderung der Eigenvorsorge.

Innerhalb des ASVG-Systems könnte man die Mindestpensionen tendenziell stärken und an anderer Stelle sparen, sozial verträglich, mit langen Übergangsfristen. „Wenn man mit diesen Reformen zuwartet, wird das Thema auf Dauer nicht besser“, so Eltner. „Die Politik muss tätig werden, sonst wird der Schmerz später umso größer.“

„Steuererleichterungen und Anreizschaffungen, zum Beispiel in der zweiten Säule durch Indexierung des Absetzbetrages, sind an der höchsten Zeit“, sagt VVO-Präsident Rémi Vrignaud. „Wir sind noch im Jahre 1975.“

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Altersarmut · Altersvorsorge · Ausbildung · Immobilie · Lebensversicherung · Pension  · Senioren · Strategie · Versicherungsteuer
 
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