13.11.2024 – Die demografische Entwicklung mache es immer dringlicher, sich Lösungen für die Pensionsproblematik zu überlegen, so der VVO. Die Ideen reichen von einer Valorisierung der Zukunftssicherung über eine Reduktion der Versicherungssteuer bis zu einem neuen Pensionsprodukt. Und angesichts zunehmender Naturkatastrophen sei eine effiziente Lösung nötig, die den Menschen einen Rechtsanspruch auf den Ersatz ihrer Schäden bietet.
Rechtzeitig zu Wort melden wolle sich die Versicherungsbranche angesichts der aktuellen Gespräche über die Bildung einer neuen Bundesregierung, betonte Christian Eltner, Generalsekretär des Versicherungsverbands Österreich (VVO), bei einer Pressekonferenz am gestrigen Dienstag.
Es gehe darum, aufzuzeigen, was Versicherungen zur Problemlösung für die Herausforderungen unserer Zeit beitragen können. Viele Lösungsvorschläge würden seit langer Zweit am Tisch liegen, dies wolle man nochmals in Erinnerung rufen.
Insbesondere zur Bewältigung des evidenten Demografiewandels und der neuen Ausmaße von Naturkatastrophen als Folge des Klimawandels brauche es ein gemeinsames Vorgehen. Dabei verstehe sich die Versicherungswirtschaft als „Partner des Staates“.
Monika Köppl-Turyna, Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, ging einleitend auf die Herausforderungen des Demografie- und Klimawandels ein. Beide Handlungsfelder würden große Veränderungen für die österreichische Volkswirtschaft mit sich bringen und hohe Kosten verursachen.
In einer Analyse hat sich EcoAustria unter anderem mit der Alterung in Österreich in den nächsten Jahrzehnten beschäftigt. Köppl-Turyna verweist darauf, dass die arbeitende Bevölkerung bis 2060 trotz Migration schrumpfen werde.
Dazu komme, dass die Menschen massiv unterschätzen, wie alt sie werden, sagt Köppl-Turyna. 2070 werde die Lebenserwartung von Frauen bei mehr als 90 Jahren und bei Männern bei über 86 Jahren liegen.
Die Lebenserwartung mit 65 Jahren werde von derzeit 18,8 Jahren bei Männern auf 23,6 Jahre steigen, bei Frauen von 21,8 auf 26,6 Jahre. Die Pensionszeiten verlängern sich dadurch jeweils um rund fünf Jahre, das Leben ohne Erwerbseinkommen werde für viele fast so lange sein wie das Erwerbsleben.
Österreich gebe besonders viel für Pensionen aus, betont Köppl-Turyna – und die Ausgaben werden, wenn auch mäßig, weiter steigen: von 13,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2022 auf 14,2 Prozent im Jahr 2045. Das sind zwei Prozent mehr vom BIP als im EU-Durchschnitt.
Gleichzeitig werde die Ersatzrate sinken. Das Verhältnis von Durchschnittslohn zu Durchschnittspension werde sich von derzeit 56 Prozent bis 2070 auf 45 Prozent reduzieren. Mit der Lücke steige auch das Risiko für Altersarmut.
Eine mögliche Lösung des Problems sieht Köppl-Turyna in der Einbeziehung der kapitalgedeckten Vorsorge. Dabei würden verschiedene Modelle zur Verfügung stehen, wie sie in anderen Ländern existieren, in denen die staatlichen Ausgaben niedriger und die Ersatzraten zum Teil höher seien.
So gebe es beispielsweise in Schweden sowohl in der ersten als auch in der zweiten Säule kapitalgedeckte Beiträge, in Dänemark gebe es für fast alle eine betriebliche Zusatzrente in Form eines kapitalgedeckten Systems und in Großbritannien starke Anreize für die dritte Säule.
„Wir sind nicht angetreten, die erste Säule zu kritisieren“, betont Eltner. Aber die Ersatzrate sinke trotz hoher Kosten und es werde immer dringlicher, sich etwas zu überlegen. Daher brauche es unbedingt das Drei-Säulen-System.
Konkret wünscht sich die Versicherungswirtschaft von der nächsten Regierung eine Valorisierung der „Zukunftssicherung“, auf 1.200 Euro pro Jahr – der derzeitige Betrag von 300 Euro sei seit Jahrzehnten nicht mehr valorisiert worden.
Zweite Forderung: Die Halbierung der Versicherungssteuer für die Lebensversicherung bzw. deren kompletten Wegfall für nachhaltige Investments. Österreich sei eines der wenigen Länder, in denen es überhaupt eine Versicherungssteuer auf Lebensversicherungen gibt, ergänzt Eltner.
Auch müsse man über ein „neues Pensionsprodukt“ diskutieren; dieses sollte eine – allerdings auf 70 bis 80 Prozent begrenzte – Garantie beinhalten und steuerliche Anreize bieten. Und schließlich wäre es notwendig, dass sich die Alterssicherungskommission um alle drei Säulen kümmert.
„Naturkatastrophen sind kein Zufall“, so Köppl-Turyna. Und gerade Österreich sei in Europa eher stark betroffen – sowohl für Private als auch für Unternehmen bestehe ein erhöhtes Risiko. Dazu müsse bis 2050 mit einer Zunahme der Schäden um 40 bis 60 Prozent gerechnet werden.
Auch die wetter- und klimawandelbedingten Folgekosten werden hierzulande in den nächsten Jahrzehnten stark steigen: So würden verschiedene Szenarien bis zum Jahr 2050 von einem Anstieg um das Vier- bis Achtfache gegenüber 2010 ausgehen.
Das habe auch Folgen für die öffentlichen Finanzen, wobei zu bedenken sei, dass die Dotierung des Katastrophenfonds in Höhe von rund 600 Millionen Euro primär aus Einkommen- und Körperschaftsteuer erfolgt – ein Betrag, der zukünftig noch erheblich ansteigen werde.
Private Vorsorge sei deshalb nötig, nicht zuletzt, um einen „moral hazard“ zu vermeiden – denn wenn der Staat immer wieder einspringt, gebe es keinen Anreiz, selbst vorzusorgen, so Köppl-Turyna.
Rémi Vrignaud, Präsident des VVO, erinnerte daran, dass sich das verheerende Hochwasser in Österreich erst vor zwei Monaten ereignet hat. Allein für dieses Ereignis rechnet die Versicherungswirtschaft mit 600 bis 700 Millionen Euro Schäden.
Insgesamt sei heuer mit versicherten Naturkatastrophenschäden von 1,6 bis zwei Milliarden Euro auszugehen, nach durchschnittlich einer Milliarde in den Vorjahren. Und nur 40 Prozent der ökonomischen Schäden seien versichert.
Weltweit liege Österreich bei Naturkatastrophenschäden im Vergleich zum BIP an vierter Stelle – für diese Exponiertheit Österreichs gebe es derzeit keine effiziente Lösung, vor allem hätten die Menschen hierzulande keinen Rechtsanspruch auf den Ersatz ihrer Schäden.
Es gebe aber in vielen Ländern erprobte Lösungen, betont Vrignaud. Dabei komme der Versicherungswirtschaft eine bedeutende Rolle zu, nur bei wirklich großen Katastrophen sollte der Staat ins Spiel kommen.
Seit Jahren fordert der VVO eine Lösung, wie sie in Belgien existiert: ein Modell, bei dem die Naturgefahrendeckung an die Feuerversicherung gekoppelt ist. Es gehe dabei um eine Lösung, die tragfähig und sozial verträglich ist.
Ohne Bindung an die Feuerversicherung wäre eine Volldeckung der Risiken nicht finanzierbar, so Vrignaud. Ein Ausgleich über Zeit, Region und Schadenshöhe wäre sonst nicht möglich, es gelte das Gesetz der großen Zahl und das Solidaritätsprinzip.
Eine solche Versicherung sollte aber nicht nur Hochwasserschäden decken, sie würde alle Katastrophen beinhalten, beispielsweise auch Erdbeben, von denen auch Häuser in Großstädten betroffen sein können. Angestrebt werde eine Volldeckung, allerdings mit risikoadäquater Bepreisung.
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