Naturkatastrophen: VVO sieht Politik gefordert

10.6.2024 – Im Pressegespräch mit Wetterjournalist Marcus Wadsak warnt der VVO (Verband der Versicherungsnehmer Österreichs) vor der Zunahme von Extremwetterereignissen in den kommenden Jahrzehnten. Die Bevölkerung und die Politik müssten in einem extremen Klimaumfeld Weichenstellungen für die Zukunft treffen.

Pressekonferenz des VVO zum Thema Naturkatastrophen (Bild: Martin Hörmandinger)
Pressegespräch des VVO (v.l.n.r.): VVO-GeneralsekretärChristian Eltner, Fernsehmeteorologe Marcus Wadsak und VVO_Vizepräseident Klaus Scheitegel (Bild: VVO/APA/Martin Hörmandinger).

„Das Thema Klimawandel ist für die Versicherungswirtschaft von extrem großer Bedeutung. Kaum eine andere Branche ist davon so stark betroffen wie Versicherungen“, leitete Christian Eltner, Generalsekretär des VVO, das Pressegespräch zum Thema Klimawandel und Versicherungen ein.

Die Schäden im letzten Jahr hätten weltweit 250 Milliarden Dollar betragen. In Österreich richteten Wetterextreme im Durchschnitt Schäden von einer Milliarde Euro an. „Die Schäden in Österreich sind von Vorarlberg bis zum Burgenland überproportional hoch“, so Eltner. Starkregen, Hochwässer, Hagel, Sturm und Extremhitze richteten massive materielle und gesundheitliche Schäden an.

Die österreichischen Versicherungen wollen tragfähige Lösungen zur präventiven Schadensbegrenzung und zur Schadensdeckung „vor der Krise, während der Krise und nach der Krise“ anbieten.

Es gehe darum, Menschenleben zu schützen und die Auswirkungen möglichst gering zu halten, so Klaus Scheitegel, VVO-Vizepräsident. Präventivmaßnahmen seien gefragt. Es gehe zuerst darum, die Schäden zu vermeiden und möglichst gering zu halten.

Präventivmaßnahme: Naturgefahrenplattform HORA 3D

Scheitegel stellte dazu die neuste Version des Präventions-Tools Hora (Natural Hazard Overview and Risk Assessment Austria) vor.

Immobilienbesitzer, Hausbewohner oder Unternehmer in Österreich können durch einfachen Internetzugang mit Hora 3D ihre individuelle Risikosituation schnell beurteilen.

Sie erkennen anhand von 3D-Modellen, welchen Gefahren sie ausgesetzt sein können und an welcher Stelle in einem Haus oder in einer Fabrik Wertgegenstände, Dokumente, Waren oder Produktionsmaschinen im Ernstfall am sichersten verwahrt sind. So könne man sich auch spielerisch dem Problem annähern, so Scheitegel.

Durch unterschiedliche Helligkeitsschattierungen und Signalfarben werden die Gefahrenzonen (HQ-Kategorien) verdeutlicht, zum Beispiel bei Flutkatastrophen. Damit soll auch das Bewusstsein vor Naturkatastrophen und für Schutzmaßnahmen gestärkt werden.

Weltweit einzigartiges Projekt

Hora 3D zeigt auch, welche Sicherungsmaßnahmen für eine Liegenschaft möglich sind. Blaulichtorganisationen erkennen dadurch schnell, welche Straßen bei Flutungen noch befahrbar sind oder wo Sandsäcke oder Schutzmauern platziert werden sollen.

Man sehe dadurch schnell, wie eine Liegenschaft in einem gefährdenden Gebiet für die Zukunft sicherer gemacht werden könne. Zukünftig soll das System alle typisch österreichischen Gefahren abdecken, wie Hochwasser, Blitz, Wind, Hagel, Schneedruck, Erdrutschungen, Erdbeben und Sturm.

Hora, die interaktive Landkarte der Naturgefahren in Österreich, ging 2006 erstmalig online - damals noch als 2D-Version. 2023 wurde sie von einer zweidimensionalen zu einer dreidimensionalen Darstellung erweitert.

Damit werde die Risikovisualisierung für die österreichische Bevölkerung anschaulicher und wirklichkeitsnäher. „Das Projekt ist weltweit einzigartig“, so Scheitegel.

Klimawandel im Vormarsch

Daten und Zahlen zu den letzten Extremwetterereignissen wurden vom Fernsehmeterologen und Sachbuchautor Markus Wadsak vorgestellt. Die Situation sei sehr ernst. Die geforderten Klimaziele werde Österreich kaum erreichen.

2023 sei das wärmste Jahr der meteorologischen Messgeschichte gewesen. Österreich sei als Binnenland vermehrt gefährdet, das kühlende Meer fehle. Der Wert in Österreich überschreite zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Schuld seien die Treibhausgase.

Jeden Tag würden weltweit 100 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre hinausgeschossen. Damit gehe es mit der Temperatur bergauf. Das CO2 bleibe sehr lange, ein Drittel bis zu hundert Jahren, ein weiteres Drittel bis 1.000 Jahre in der Atmosphäre.

Der Schaden, den wir jeden Tag anrichteten, werde uns also sehr lange begleiten. „Wir können nicht mehr zurück zum alten Normal“, so Wadsak.

Massive Schäden durch Klimaveränderung

Die Schäden würden bei der Gesundheit und einer hohen Zahl der Hitze-Todesfälle liegen. Scheitegel prognostizierte auf Nachfrage des VersicherungsJournals, dass heuer mehr Menschen in Österreich an Hitzetod stürben als es Verkehrstote gebe.

Es gelte auch die Überlastung der Krankenhäuser und Rettungsmannschaften mitzubedenken.

Die Landwirtschaft leide unter Trockenheit der Anbaufelder, führte Wadsak weiter aus. Die wirtschaftlichen Schäden seien immens. So würden die Marillen viel früher reif und dann durch Frostnächte leichter vernichtet. Der Tourismus leide an ausgetrockneten Seenlandschaften – Beispiel Zicksee.

„Jahrhundertfluten“ werden häufiger

Waldbrände und Flutkatastrophen seien laut Wadsak gemeinsam zu denkende Phänomene. In einer wärmeren Atmosphäre müsse man mit intensiveren Starkregenereignissen rechnen - und das öfter. „Die wärmere Atmosphäre hat mehr Energie und diese Energie kommt herunter auf uns“, schildert Wadsak drastisch die Situation.

Oder, mit dem deutschen Klimaexperten Stefan Rahmstorf gesprochen: „Sie können gleichzeitig öfter an einer Verstopfung und öfter an Durchfall leiden“.

Die österreichische Infrastruktur sei noch nicht ausreichend ausgelegt für die extremen Wetterbedingungen. Veraltete Bauordnungen orientieren sich an 50-jährigen und 100-jährigen Hochwässern.

Die Jahrhundertereignisse treten aber mittlerweile öfter auf. In den letzten 25 Jahren habe es in Westdeutschland und in Österreich drei „Jahrhundertfluten“ gegeben. Der Begriff „Jahrhundertflut“ sei daher neu zu diskutieren.

VVO fordert die Umsetzung des belgischen Modells

Eltner erläuterte, dass das Jahrhunderthochwasser 2002 in Österreich 300 bis 400 Millionen Euro Schaden verursacht habe. Mittlerweile entstünden bei Hochwässern Schäden von einer Milliarde Euro - eine Verdreifachung der Naturkatastrophenschäden über alles gerechnet.

„Der Klimawandel hat ein Preisschild – eine Milliarde Euro in den letzten Jahren. Noch kann die Versicherungswirtschaft das leisten.“ In der Zukunft werde das aber nicht mehr zu stemmen sein.

Es müssten entscheidende Rahmenbedingungen geschaffen werden, fordert Eltner. Der VOO fordere schon lange die Umsetzung des belgischen Modells einer Hausversicherung. In die Feuerversicherung sollen auch die Naturgefahren, zum Beispiel Hochwasser und Erdbeben, miteinbezogen werden.

Obwohl das relativ leicht umzusetzen wäre, sei von Seiten der Politik bisher wenig bis gar nichts passiert. Sturm, Feuer und Hagel hätten bereits eine sehr hohe Versicherungsdurchdringung, ergänzte Scheitegel. „Wir brauchen eine sehr breit aufgestellte Lösung aus Versicherung, Rückversicherung und vor allem den Staat, um die kommenden Schäden tragen zu können.“

„Der Klimawandel macht vor Grenzen nicht halt“, so Eltner. Die landesspezifischen Katastrophenfonds sollten daher auch über das gesamte Bundesgebiet vereinfacht werden. Es sollten auch die Katastrophenfonds durch die Pflichtversicherung entlastet werden.

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Berufsverband · Elementarschaden · Gesundheitsreform · Immobilie · Rückversicherung · Unwetter
 
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