22.8.2024 – Martin Schörkhuber, Sachverständiger und Geschäftsführer von Sterkl, Schörkhuber & Partner, über komplexer gewordene Schäden, Defizite in der Prioritätensetzung beim Versichern, fehlende Wertanpassungen, emotionale Herausforderungen im Schadenfall und politischen Handlungsbedarf in Sachen Naturkatastrophen-Versicherung.
1984 war das Unternehmen mit Sitz im oberösterreichischen Leonding als Ziviltechnikerkanzlei und Sachverständigenbüro gegründet worden. Diesen Tätigkeiten geht die Sterkl, Schörkhuber & Partner GmbH auch heute noch nach.
„Unser anderer, mittlerweile weitaus größerer Zweig, ist die Schadensbegutachtung und -abwicklung“, sagt Martin Schörkhuber, Geschäftsführer des in Österreich sowie Zentral- und Osteuropa tätigen und auf den bautechnischen Bereich spezialisierten Unternehmens.
„Als Sachverständige werden wir von Versicherungsgesellschaften zur Bewertung von Schäden beauftragt.“
Schörkuber zieht nach vier Jahrzehnten des Bestehens die Bilanz: Die Schäden sind immer komplexer geworden, allein, wenn man sich Technik und Installationen vor Augen hält. Die Schadensabwicklung sei „generell stark gewachsen“.
Es werde immer hochwertiger und anspruchsvoller gebaut. „Man muss nur daran denken, welche Materialien verwendet und kombiniert werden, zum Beispiel, welche Rohrleitungen und wie viele Kabel mittlerweile in einem Haus eingebaut sind. Wenn ein Schaden auftritt, ist die Reparatur aufwendiger.“
Ein Faktum sei, dass sich die Witterungen ändern. „Schneedruck wurde in den letzten Jahren immer mehr zum Thema. In manchen Regionen haben wir zu wenig Schnee, in anderen bilden sich Schneemassen, denen Gebäude nicht mehr standhalten.“
Da Wetter- und Katastrophenszenarien in Veränderung begriffen seien, seien umfangreiche Abdeckungen für Naturkatastrophenschäden nötig. „Wir bräuchten hier österreichweite – oder eigentlich europäische – Gesamtkonzepte für Natkat-Deckungen. Die gibt es derzeit nur teilweise.“
Die Versicherungsbranche „hätte eigentlich Lösungen“ dafür, sagt Schörkhuber und sieht auch politische Lösungen gefragt.
Schörkhuber sieht aber auch auf Seiten der Versicherungsnehmer Handlungs- und Wandlungsbedarf. „Viel zu oft“ herrsche der Gedanke vor: „Bei uns passiert schon nichts.“ Die Erwartungen an staatliche Hilfe bei Katastrophen seien bei manchen hoch, „eigentlich viel zu hoch“.
Er rät Versicherungsnehmern, „sich wirklich umfangreich zu versichern; um aber auch Prämie zu sparen, entsprechende Selbstbehalte zu akzeptieren“. Wichtig sei die Deckung für den Katastrophenfall.
„Es ist besser, bei einem Schaden, der durch Unachtsamkeit entstanden ist, einmal Lehrgeld zu zahlen. Ein Stromausfall, wo Kühlgut im Wert von 100 Euro zerstört wurde, ist kein Weltuntergang. Bei einem Gebäudebrand nicht voll abgedeckt zu sein, kann aber die Existenz bedrohen.“
„Wir haben immer wieder mit Schäden an uralten Häusern zu tun, mit dementsprechendem Stand der Technik“, berichtet Schörkhofer weiter.
Beim Wiederaufbau könne man diese Technik gar nicht mehr herstellen oder sie würde gar nicht mehr abgenommen werden. Der Wiederaufbau werde also viel teurer, als es von der Versicherung abgedeckt ist.
„Solange nichts passiert, kommt keiner drauf – erst im Schadensfall gibt es das große Erwachen. Man kann aber vieles vorher versichern, und das kostet oft gar nicht eklatant mehr.“
Ein anderer Aspekt ist die Prioritätensetzung. Oft werde bei kleinen Schäden „sofort die Versicherung gerufen“. Wenn man sich „jeden Kratzer“ im Auto via Vollkaskoversicherung erstatten lasse, dann koste das Prämie.
„Gleichzeitig übersehen aber zum Beispiel Hausbesitzer und Unternehmer, dass sie ihre Versicherung an die gestiegenen Werte anpassen“, so Schörkhuber.
Er illustriert das am Beispiel eines Hausbesitzers, der sein Haus „vor x Jahren“ auf 200.000 Euro versichert, weil es das beim Bau gekostet hat – über die Jahre kommen aber ein Carport, ein Schwimmbad oder eine Photovoltaikanlage dazu, vielleicht auch teure Möbel oder ein wertvolles Gemälde.
„Wenn man dann seine Versicherung nicht anpasst, wird das im Schadensfall natürlich nicht erstattet. Oft entstehen nicht einmal Mehrkosten, aber diese Erweiterungen bei der Versicherung anzugeben, ist essenziell.“
Bei Unternehmen wiederum könne sich durch Maschinenkäufe oder eine Photovoltaikanlage schnell der Anlagenwert erhöhen.
„Dieser wird durch die Indexanpassung nicht abgedeckt. Unternehmer sind oft so im Tagesgeschäft eingespannt, dass sie nicht regelmäßig darauf achten, ob sie umfassend genug versichert sind.“
Bei Unternehmen gehe es schließlich auch um die Beschäftigten. „Habe ich keine Betriebsausfallversicherung, kann ich vermutlich die Gehälter nicht zahlen, und meine gut eingearbeitete Belegschaft wird nicht im Unternehmen bleiben.“
Ein Schadenfall kann denn auch durchaus herausfordernd sein – für die Betroffenen, aber auch für die, die den Schaden abwickeln.
„Gerade im Katastrophenfall sind unsere Mitarbeiter enorm unter Druck. Zum einen müssen sie sensibel in diesen emotional aufgeladenen Situationen handeln, zum anderen ist der zeitliche Druck hoch“, sagt Schörkhuber.
„Geschädigte brauchen oft zunächst einmal jemanden zum Reden und dann einfach Experten, die sie gut beraten.“ Zu sagen, dass „eh alles nicht so schlimm“ sei, helfe den Geschädigten nicht. Vielmehr sei es auch Teil der Aufgabe, beim Finden von Lösungen zu unterstützen.
„Manchmal treten uns Geschädigte durch die Stresssituation auch gar nicht freundlich entgegen, unsere Mitarbeiter müssen da einen kühlen Kopf bewahren. Gerade wenn wir dann feststellen, dass manche Schäden nicht gedeckt sind, wird es verständlicherweise schwierig.“
Inwieweit kommt in der Branche auch künstliche Intelligenz zum Einsatz? Die sei „bei uns noch nicht wirklich angekommen“, sagt Schörkhuber.
„Bei großen Fällen bekommen wir manche Dokumente auch fünf Mal. Wenn die KI einmal so weit ist, dass sie diese Dokumente sortieren kann, dann würde ich das schon begrüßen.“
Dazu bedürfe es aber noch einiger Entwicklungsarbeit. „Versicherer arbeiten ja schon daran und werden solche Programme wohl früher einsetzen als wir“, so Schörkhuber.
„Dazu kommt, dass wir – trotz der Tatsache, dass unsere Branche technik- und informationslastig ist – mit zutiefst menschlichen Emotionen zu tun haben. Insofern wird der ‚Faktor Mensch‘ immer wichtig bleiben.“
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