28.10.2024 – Frauen sind einem besonders hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind. Zwei Beispiele sollen zeigen, wie Berufsunfähigkeit das Problem noch verstärken kann. – Von Jürgen E. Holzinger.
Wer aufmerksam die letzte Ausgabe unserer BU-Serie im VersicherungsJournal (21.10.2024) gelesen hat, wird inzwischen wissen, dass Frauen einem besonders hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind.
Zwei Fallbeispiele sollen praxisnah verdeutlichen, wie schnell die Situation sich in der Berufsunfähigkeit drastisch verschlechtern kann.
Frau A. hat sich nach einer jahrelangen Gewaltbeziehung endlich von ihrem Partner trennen können und wohnt nun mit der minderjährigen Tochter in einer kleinen Wohnung.
Sie ist mit ihrer Erfahrung nicht alleine – laut Statistik Austria aus 2022, ist jede dritte Frau in Österreich ab ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal Opfer von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt.
Die Folgen von jahrelanger physischer und psychischer Gewalt sind an Frau A. nicht spurlos vorübergegangen – sie kann ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, von der PVA wurde ihr mit Bescheid mitgeteilt, dass eine dauerhafte Berufsunfähigkeit vorliegt.
Aufgrund der Kinderbetreuungszeiten und der jahrelangen Teilzeitbeschäftigung wäre ihre Pension nur mit knapp 600 Euro bemessen. Zum Glück bekommt sie die sogenannte Ausgleichszahlung, die ihr monatliches Einkommen auf zumindest 1217,96 Euro erhöht.
Zusätzlich bekommt Frau A. für ihre schulpflichtige Tochter pro Monat zusätzlich 187,93 Euro. Dieser Betrag wird nur dann bezahlt, wenn die Kinder kein Nettoeinkommen über 447,97 Euro haben.
Ein Kinderzuschuss der PVA bei Kindern, die schulpflichtig sind oder sich in der Berufsausbildung (Studium oder Lehre) befinden, kann zusätzlich beantragt werden – dieser beträgt monatlich aktuell 29,07 Euro.
Wenn sich die Tochter von Frau A. nach der Pflichtschule für eine Lehre entscheidet, wird hinsichtlich der Ausgleichszulage ein Betrag von monatlich 261,65 Euro außer Betracht gelassen.
Sollte die Tochter also eine Lehrausbildung beginnen, bei der sie mehr als diese 709,62 Euro verdient (447,97 + 261,65), und sie weiter im Haushalt mit der Mutter leben, würde die Ausgleichszulage komplett gestrichen werden.
Mutter und Tochter hätten dann zum Leben die Pension der Mutter in Höhe von knapp 600 Euro sowie die Lehrlingsentschädigung der Tochter.
Auch ein Studium mit einem Teilzeitjob oder einer Erwerbstätigkeit nach der Schule – um sich beispielsweise das Selbsterhalterstipendium zu ermöglichen – könnte für die Mutter erhebliche finanzielle Risiken bergen, sofern die Tochter im gleichen Haushalt wohnhaft bleibt.
An die Ausgleichszulage können auch zusätzliche Beihilfen und Ermäßigungen geknüpft sein, die die Armutsspirale von Frau A. und ihrer Tochter weiter verstärken könnte.
Alternativ könnte es aber auch sein, dass die Tochter von Frau A. keine Ausbildung oder Lehre beginnen kann, da auch sie durch die (mit)erlebte Gewaltausübung des Vaters nicht arbeitsfähig ist.
Wie groß das Armutsrisiko gerade bei Kindern und Jugendlichen ist, die bereits vor dem Eintritt ins Berufsleben arbeitsunfähig werden, soll dieses alternative Beispiel zeigen.
Durch die jahrelange häusliche Gewalt, der auch die Tochter B. von Frau A. ausgesetzt war, hat sie noch vor dem Ende ihres Maturajahres eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert bekommen.
Der Einstieg ins Berufsleben ist ihr nicht möglich – einen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension wie ihre Mutter hat sie nicht, da sie nie in das System eingezahlt hat.
Junge Erwachsene unter 27, die bereits mindestens ein halbes Jahr durchgängig einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind, können um Rehageld bzw. Berufsunfähigkeit ansuchen – in unserem Fall wird B. aber bereits ohne jegliche Versicherungsmonate berufsunfähig. Sie hat nur Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe und eventuell auf Pflegegeld, jedoch kein Einkommen, das ihr ein selbstständiges Leben ermöglichen würde.
Beim AMS ist sie ebenfalls nicht versichert, da sie keinen Anspruch auf Unterstützung hat und zusätzlich nicht arbeitsfähig ist.
Es bleibt ihr also nur das letzte Auffangnetz: die Sozialhilfe. In einigen Bundesländern in Österreich gibt es aber immer noch den sogenannten Regress.
Das bedeutet, dass Kinder ihre Eltern vorab auf Unterhalt klagen müssen, um eventuelle Unterhaltsansprüche zur selbstständigen Lebensführung zu klären. Erst wenn durch die Klage festgestellt wird, dass die Eltern nicht in der finanziellen Lage sind, ihren Kindern den Unterhalt zu bezahlen, haben die Kinder Anspruch auf Sozialhilfe.
Eine weitere Problematik kann dabei sein, dass bei der Sozialhilfe ein privates Schonvermögen von 5.600 Euro vorhanden sein darf – alle anderen Mittel müssen verbraucht werden. Bei Eigentumswohnungen oder Häusern wird das Land nach drei Jahren im Grundbuch eingetragen.
Sollte B. also von ihrer Großmutter eine Wohnung übertragen bekommen und sie über mehrere Jahre die Sozialhilfe beziehen, würde das Land schlussendlich im Grundbuch der Wohnung stehen.
Um dem letzten Sicherheitsnetz nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, empfiehlt es sich, auch Eltern über die Vorteile einer privaten Absicherung aufzuklären.
Die Risiken der Berufsunfähigkeit bestehen auch für Kinder und Jugendliche. Es gilt, die Eltern für dieses Thema zu sensibilisieren und den Verlust der Arbeitskraft bereits bei der nachkommenden Generation mitzudenken.
Der Autor ist Obmann des Vereins Chronischkrank Österreich. Zu den Zielen des Vereins gehört Bewusstseinsbildung rund um den Wert der Arbeitskraft. Der Verein bietet Vorträge und Workshops zum Thema Berufsunfähigkeit an.
Hinweis: Der fünfte Teil erscheint in einer Woche.
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