Aktuare: Den Beruf „promoten und in die Breite bringen“

14.8.2024 – In den vergangenen Jahren ist das Tätigkeitsfeld der Aktuare vielschichtiger geworden, Berufschancen gibt es nicht nur in Versicherungen, wie Hartwig Sorger und Ulrike Ebner, Präsident und Vizepräsidentin der Aktuarvereinigung, betonen. Zukünftig will man mehr junge Leute für diesen Beruf begeistern. Von der Politik wünscht man sich eine Förderung der finanziellen Bewusstseinsbildung.

AVÖ-Präsident Hartwig Sorger (Bild: Valida)
AVÖ-Präsident Hartwig Sorger (Bild: Valida)

Der Begriff Aktuar und das Berufsbild, das dahintersteckt, sind in Österreich leider weitgehend unbekannt, bedauert die Vizepräsidentin der Aktuarvereinigung Österreichs AVÖ, Ulrike Ebner, im Gespräch mit dem VersicherungsJournal.

In anderen Ländern sei der Aktuar ein in der Öffentlichkeit sehr angesehener Beruf. In Großbritannien etwa sei „I am an actuary“ genau so bekannt wie andere Berufe.

In UK gibt es ein eigenes „Government Actuarial Department“ mit mehr als 200 Mitarbeitenden, das das Parlament zu Gesundheits-, Sozial- und Arbeitsmarktthemen berät und Gesetzesvorschläge bzw. -änderungen begutachtet.

Ebner will daher mit Kontakten und Aktivitäten den Beruf „promoten und in die Breite bringen“. Es sei ein „spannender Beruf für junge Menschen, die Interesse an der Mathematik haben und Herausforderungen lieben, erzählt Ebner.

Gute Berufschancen

Vielfach würden sich Kollegen auch in ihrer Freizeit mit mathematischen Fragestellungen beschäftigen und an mathematischen Wettbewerben teilnehmen, so Ebner. Oft würden für Aktuare die Grenzen zwischen Hobby und Beruf verschwimmen.

Auch wenn Aktuare hierzulande oft im Hintergrund arbeiten, sind sie in den verschiedensten Aufgabengebieten, die uns alle direkt oder indirekt betreffen, im Einsatz.

„Begonnen von Produktentwicklung und lokaler Bilanzierung, über Risikomanagement inklusive Solvency II, Data Science, Internationale Bilanzierung nach IFRS 17, auch das allgegenwärtige Thema ESG, bis hin zum Thema KI, welches jetzt neu auf uns zukommt“, zählt Ebner auf.

Und so sind Aktuare nicht nur in Versicherungen und Pensionskassen, sondern auch in der Finanzmarktaufsicht, in größeren Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien und in Beratungsunternehmen zu finden und begehrt.

Breites Tätigkeitsfeld

Bereits in den letzten Jahren seien viele Aktuare als Data Scientists auch von branchenfremden Bereichen „abgeworben“ worden, Ebner erwartet eine ähnliche Entwicklung auch bei den neuen Themen ESG und KI.

Denn „das Tätigkeitsfeld ist in den letzten Jahren zunehmend breiter geworden“, sagt AVÖ-Präsident Hartwig Sorger: Vom „Prämien berechnen“ hin zur Unterstützung bei den Planungsrechnungen, des Risikomanagements und des Rechnungswesens und Controllings; Aktuar werde vom „Nischenberuf“ immer mehr zum „Querschnittsberuf“ mit vielen Schnittstellen.

Die steigende Komplexität der nicht nur regulatorischen Anforderungen könne von Aktuaren durch den Einsatz ihrer technischen Skills mit ihrer Kenntnis des Versicherungsgeschäfts selbstständig und effizient umgesetzt werden, so Sorger.

Auch die Kommunikation sei in diesem Beruf in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, also das „Übersetzen“ der Komplexität in eine für Geschäftsführung bzw. Vorstand geeignete Sprache.

Neu: berufsbegleitende Ausbildung

AVÖ-Vizepräsidentin Ulrike Ebner (Bild: privat)
AVÖ-Vizepräsidentin Ulrike Ebner (Bild: privat)

Der also „vielschichtige“ Beruf Aktuar setzt ein abgeschlossenes Mathematikstudium voraus. Auf europäischer Ebene gibt es einen „Mindestfächerkatalog“ für die gegenseitige Anerkennung, auch in der Schweiz und im Vereinigten Königreich.

Ebner ist stolz darauf, dass es ab September 2024 auch die „neu aufgesetzte Möglichkeit der berufsbegleitenden Ausbildung“ geben wird.

Die berufsbegleitende Aktuarausbildung ist derart gestaltet, dass die theoretische Ausbildung, die nicht bereits im Laufe eines Hochschulstudiums absolviert wurde, parallel zur Berufspraxis absolviert werden kann.

Dabei sollen geblockte Präsenzeinheiten und digitale Einheiten eine gute Vereinbarkeit mit Berufs- und Privatleben ermöglichen. Die neue berufsbegleitende Ausbildung soll auch Absolventen von „gleichwertigen“ facheinschlägigen Studien wie Chemie oder Physik offenstehen.

Prominente Namen

Aktuare arbeiten aber nicht nur im Hintergrund; so finden sich unter den 400 „anerkannten Aktuaren“ Österreichs einige prominente Namen aus der Versicherungsbranche.

Unter ihnen sind etwa Elisabeth Stadler (ehemalige CEO der Vienna Insurance Group AG), Doris Wendler (Wiener Städtische Versicherung AG), Jürgen Hartinger (Kärntner Landesversicherung a.G.), René Knapp (Uniqa Österreich Versicherungen AG) und der Präsident der Aktuarvereinigung Hartwig Sorger (Valida Holding AG). Auch Peter Braumüller (Finanzmarktaufsicht und Eiopa) und Johann Kronthaler (KPMG Austria GmbH) sind Aktuare mit Bekanntheit in der Branche.

Wer also daran denkt, „in die Wirtschaft zu gehen“, wer betriebswirtschaftliches Interesse mit technischen Interessen verknüpfen möchte, dem steht neben dem Jus- und Wirtschaftsstudium auch der Weg über die Mathematik offen. Weiterer Vorteil: Die Uni-Absolventenzahl ist weitaus geringer als bei den juristischen und wirtschaftlichen Fächern.

Und so hofft man bei der AVÖ, dass sich mehr junge Leute, aber auch Praktiker, für diesen Ausbildungsweg interessieren, um auch künftig wieder mehr Aktuare für diesen spannenden Beruf gewinnen zu können und den Bekanntheitsgrad zu steigern. Mehr zu den Ausbildungen findet man auf der AVÖ-Website.

Finanzielle Bewusstseinsbildung

Die AVÖ ist Mitglied der International Actuarial Association IAA sowie der Actuarial Association of Europe AAE und in den dortigen Arbeitsgruppen/Committees personell vertreten und aktiv. So hat man den internationalen Vergleich und so hat AVÖ-Präsident Sorger auch Wünsche an die Politik:

Es bräuchte echte „Transparenz“ für jeden Bürger, was er in der Pension finanziell zu erwarten hat. Die „Pensions-App“, die alle drei „Säulen“ darstellen sollte und im österreichischen Regierungsprogramm angekündigt war, ist leider gescheitert. Umso mehr müsse aber die „Bewusstseinsbildung“ der Bürger über Vorsorge und Pension politisches Ziel bleiben, so Sorger.

Zur „Financial Literacy“ gehöre auch das Bewusstsein für „Geld auf die Seite legen“, beispielsweise bei Gehaltserhöhungen, um das individuelle Sparniveau sukzessive zu erhöhen: als finanziellen Polster für die Jahre nach dem aktiven Berufsleben.

Ebner ergänzt, dass gerade Aktuare hier den notwendigen Weitblick haben und in der Gesellschaft das Bewusstsein schärfen können, dass die zweite und dritte Säule ein wesentliches Standbein für die Vorsorge bilden.

Vorsorgepflicht

Hartwig Sorger betont das Bewusstsein, „etwas für die Zukunft zu tun“: Diese sollte nicht nur für die Altersvorsorge gelten, sondern auch für die Themen Unfallrisiken, Berufsunfähigkeit, Pflegebedürftigkeit sowie auch Naturkatastrophenvorsorge.

Dabei geht er so weit, dass er eine allgemeine „Vorsorgepflicht“ fordert. Was bei der „Gurtenpflicht“ im Auto und mit der Haftpflichtversicherung im Verkehr seit langem unstrittiger Standard ist und vielen Menschen, nicht nur finanziell, das Leben gerettet hat, sollte auch in der Eigenvorsorge möglich sein. Mit ähnlichem „Mindset“: Finanziell gegen demografische Risiken gewappnet zu sein.

Überregulierung

Neben diesen gesellschaftspolitischen Themen beschäftigt die Aktuare aber auch die in den letzten Jahren zunehmende „Überregulierung“: Ebner meint, dass Regulierung im Grunde schon sinnvoll sei, aber „immer mit Maß und Ziel“.

Sorger bestätigt das aus der Praxis und wünscht sich von den Verantwortlichen, auch auf EU-Ebene, dass immer die Fragen im Vordergrund stehen sollten: „Was ist der Mehrwert? Was hat der Kunde davon?“

Zudem koste die Einhaltung der überbordenden regulatorischen Anforderungen Geld, welches letztendlich von den Kunden gezahlt werden müsse.

 
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